Donnerstag, 29. Mai 2014

Boko Haram und Al Shabaab – Terrorgruppen in Nigeria und Somalia

Boko Haram und Al Shabaab - Terrorgruppen in Nigeria und Somalia


Zwei Länder des afrikanischen Kontinents stehen in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder im Fokus der Medien: Nigeria und Somalia. Beide fallen wohl unter den in Begriff "krisengeschüttelt". Und ja, da ist leider sehr viel dran.
Wer die Medien verfolgt hat, dem ist sicher die Terroristengruppe Boko Haram aufgefallen, die zuletzt in Nigeria Hunderte Mädchen entführt und unzählige Anschläge durchgeführt hat. Erst im Mai dieses Jahres wurde sie offiziell als Terrorgruppe eingestuft, obwohl sie bereits seit über 40 Jahren aktiv ist. Vorher galt sie als militante Sekte oder Bewegung, die sich an den sunnitisch-salafistischen Islam anlehnt. Ihr Gründer Muhammad Yusuf war Anhänger der wahabitisch-salafistischen Bewegung Izala, die Veränderungen und "falsche" Praktiken in islamischen Gesellschaften ablehnte. 2002 wurde die Gruppe militanter, 2009 wird Yusuf in Polizeigewahrsam getötet. Abubakar Shekau wird sein Nachfolger. Mehr Infos hier1 und hier2 und hier.3

Was bedeutet Boko Haram?

Der Name wird in vielen Medien oft als "westliche Bildung ist eine Sünde" übersetzt, was den Kern der Sache aber nicht ganz trifft. Haram kommt aus dem Arabischen und bedeutet im Islam Verbotenes (Gegensatz ist halal). Aber boko ist eher ein Konzept, das sich im Laufe der Kolonialisierung des Landes und den dort entstandenen Strukturen um Elitenbildung, Marginalisierung der Landbevölkerung und Korruption entgegenstellte. In diesem langen Artikel setzt sich ein Reporter mit der Etymologie des Wortes auseinander, seine Quelle ist Hausa-Experte Paul Newman (Anmerkung: mein alter Hausalehrer :) ). LINK zum Artikel4
Sein Fazit lautet, dass die Übersetzung "westliche Bildung" heutzutage zwar passt, ursprünglich aber das erzwungene Überstülpen von ausländischen Systemen auf die eigenen (Bildungs-)Strukturen bedeutete. Kurz gesagt, Boko Haram rebellierte ursprünglich nicht gegen alles "Westliche", sondern vielmehr gegen eine Fremdherrschaft und die gebliebenen Strukturen daraus. Aktuell herrscht aber ein Hass auf westliche/staatliche Bildung (Urknall, Gleichberechtigung, Religionsfreiheit...) und Strukturen im Land vor. Vor allem der säkulare Staat Nigeria gehört laut der Terrorgruppe der Vergangenheit an.

Boko Haram als Terrorgruppe

Was will Boko Haram eigentlich? Nigeria steht seit Jahren kurz vor dem internen Kollaps, dem Zerfall der staatlichen Strukturen. Christliche und islamische Milizengruppen verüben Terroranschläge, beanspruchen das bevölkerungsreichste Land des Kontinents für die eigene Ausrichtung des Glaubens, der Macht, der Ethnien, der politischen Überzeugung.
Im Norden des Landes leben überwiegend Muslime, aufgrund der historischen Gegebenheiten. Viele radikale muslimische Bewegungen verlangten in den letzten Jahrzehnten eine strengere Auslegung des Islam, die Einführung der Scharia, der islamischen Gesetzgebung. Seit 1999 gilt in 12 Bundesstaaten im Norden bereits die Scharia als Rechtssystem. Im "westlichen" Einfluss sehen viele den Grund für Korruption, Armut und Gewalt.
Für Boko Haram sind aber alle schuldig und werden ohne Ausnahmen hingerichtet: fehlgeleitete Muslime, Christen, korrupter überflüssiger Staat, Bildungseinrichtungen, die nicht in die eigene Weltanschauung passen, usw. Bisher hat die Gründung eines eigenen Staates im Norden Nigerias nicht funktioniert, denn die nigerianischen Streitkräfte schlugen und schlagen heftig zurück, zum Teil mit Menschenrechtsverletzungen gegen die Gruppenmitglieder und vermeintliche Terroristen.
Nicht alle Muslime im Norden sind von den brutalen Methoden der Gruppe überzeugt. Oft werden sie selbst zu Opfern der Gewalt.
Muhammad Yusuf (Boko Haram Gründer) wollte den Ursprungsstatus Nigerias zurückhaben, ohne Kolonialstrukturen, mit islamischem Recht und Ordnung nach seiner Weltanschauung. Nach seinem Tod radikalisierte sich die Gruppe zusehend, bis zum heutigen Zeitpunkt. Die Entführung der 200-300 Schülerinnen (es ist übrigens nicht die erste Schülerinnenentführung) mit angedrohter Zwangsverheiratung oder Austausch gegen Gefangene, bildet einen weiteren, traurigen Höhepunkt der bisherigen Terroraktionen.
Die Finanzierung und Bewaffnung der Organisation liegt im Dunklen, eventuell gibt es Verbindungen zu Al-Qaida Gruppen und Kräften in Saudi-Arabien. Mittlerweile zeigen sich auch Aktivitäten in benachbarten Staaten wie Niger oder Kamerun. Ein Ende oder eine Lösung ist nicht in Sicht.5 6 7


Al-Shabaab in Somalia

Somalia ist noch ein zerfallener Staat. Trotz der Bildung der ersten gewählten Regierung seit 1967 in 2012 und der ersten stabilen Regierungsbildung seit 20 Jahren, ist der Staat immer noch von Gewalt geprägt. Die Regierung kontrolliert - wenn überhaupt - nur die Region um die Hauptstadt Mogadischu herum. Die offiziell nicht anerkannten nordöstlichen Abspaltungen Somaliland und Puntland sind weitgehend von der Öffentlichkeit abgeschnitten. Al-Shabaab konzentriert sich aber auf den Süden des Landes.
Die Gruppe entstand als Miliz gegen äthiopische Invasionen, vermutlich bereits während des Staatszerfalls um 1991. Andere sehen in 2006 die eigentliche Bildung der Gruppierung. Übersetzt bedeutet der Name in etwa "Die Jugend".
In den 2000ern versuchen Äthiopien und Kenia mit somalischen Clanführern und Politikern eine Übergangsregierung für Somalia zu bilden. Doch 2006 eskaliert die Gewalt mehrerer militärischer Gruppen. Eine Union aus islamistischen Milizen übernimmt die Kontrolle Mogadischus, auch bekannt unter der "Union Islamischer Gerichte" (Al-Shabaab soll davon der militärische Teil gewesen sein). Ein Jahr später sind sie mit Hilfe der Streitkräfte Äthiopiens verdrängt, jedoch nur für kurze Zeit.
Es wird ein Auf und Ab zwischen Gewalt und Gegengewalt, bis Al-Shabaab-Milizen, inzwischen von der Union abgespalten, nach und nach Städte und Regionen, hauptsächlich im Süden des Landes, unter ihre Kontrolle bekommen.8
Da im zerfallenen Staat kaum Strukturen für Infrastruktur, Versorgung, Bildung oder Medien existieren, beginnt Al-Shabaab im unkontrollierten Süden mit der "Aufbauarbeit". Die Gruppierung schafft stabilere politische Strukturen mit den Clans vor Ort und übernimmt Radio- und Fernsehanstalten. Sie kontrolliert auch Häfen, nimmt so Zollgelder ein und bildet in eigenen Trainingscamps aus. Jedoch erhalten sie auch hier nicht überall die volle Unterstützung. Interne Machtkämpfe schwächen die eigenen Strukturen.9

 

Was will Al-Shabaab?

Zunächst ging es um einen Guerillakrieg gegen den Einfluss Äthiopiens und dessen regelmäßige Invasionen, um die Kontrolle über Teile des Landes zu behalten. (Äthiopien versucht regelmäßig Terroristen im angrenzenden Somalia zu bekämpfen und zu vernichten, nicht immer mit dem Rückhalt der anderen Staaten um Äthiopien herum). Später richteten sich die Aktionen zusätzlich dazu gegen die Übergangsregierung und die Missionen der Afrikanischen Union. Mittlerweile sind sie auch mit Al-Qaida im engen Kontakt und Austausch, sehen sich als wichtigen Teil im Kampf gegen westliche Ziele, gegen die USA und ihre Verbündeten. Es gab bereits Selbstmordattentate und Anschläge außerhalb Somalias, wie zum Beispiel in den benachbarten Ländern Kenia und Uganda. Die Gruppe konzentriert sich nicht nur auf die Machtergreifung der Hauptstadt, einige Teile wollen also auch im Kampf gegen den Westen mitmachen. Wer genau das Sagen hat, ist kaum auszumachen.
Die Finanzierung kommt von eigenen Zolleinnahmen und Ausbeutung, Al-Qaida Gönnern und der Somalischen Diaspora. Genaue Angaben sind aber kaum zu finden. Human Rights Watch kritisiert die brutale Gewalt der Terrorgruppe, aber auch die Gewalt des somalischen Militärs und den Truppen der Afrikanischen Union.10
Al-Shabaab ist keine zentralistische Gruppierung, es gibt viele Untergruppen, deshalb haben einige Politikforscher eigentlich einen Zerfall in kleinere Splitterparteien vorhergesagt. Trotzdem hält sie sich hartnäckig im Süden des Landes fest. Erst vor einigen Tagen hat die Gruppe in Mogadischu mit einem Anschlag auf das Parlament für Schrecken und Terror gesorgt. Der Innenminister ist bereits zurückgetreten.


Fazit

Mittlerweile berichten einige Nachrichtenportale von gemeinsamen Ausbildungen und einem regen Austausch zwischen Boko Haram und Al-Shabaab. Da die Infos aus dem militärischen Bereich der USA stammen, weiß ich noch nicht, wie ich sie einordnen soll. Beide Gruppen haben ähnlich angefangen und besitzen ähnliche Motive, obwohl Boko Haram sich wohl erst später stark militarisierte. Aber eine Vernetzung der radikalen islamistischen Gruppen in einigen afrikanischen Ländern ist nicht auszuschließen, so lange es nicht um direkte Konkurrenten um die Macht im eigenen Land geht.11

Die Ursachen der Konflikte reichen natürlich weiter, als ich sie hier ausführen kann. Sowohl Boko Haram, als auch Al-Shabaab suchen die Nähe zu Al-Qaida oder zumindest zu den damit verbundenen Gruppen. Sie erhoffen sich Prestige, finanzielle Unterstützung und noch mehr Waffen.
Die Ausrichtung des Islam spielt eine Rolle, aber noch mehr geht es um die Instrumentalisierung der Religion. Radikale Gruppen sind, wie so oft in zerrütteten Ländern, oftmals eine große Stütze für die Versorgung, Infrastruktur und Zusammenhalt der Bevölkerung. Dass es dort einen großen Nährboden für terroristischen Nachwuchs gibt, ist einer der hässlichen Nebeneffekte.
Wichtig ist außerdem, dass sich unterschiedliche Strömungen des Islam in Nigeria und in Somalia finden lassen. Viele Muslime sind nicht von der Religion der Terroristen überzeugt, einige haben grundsätzlich andere Glaubensauffassungen. So stellt der Sufismus eigentlich die Mehrheit in Somalia. Sufis werden oft als "Mystiker" des Islam dargestellt. Im Prinzip geht es um eine innige Beziehung zu Gott, als eine Erfahrung der reinen Liebe. Viele berühmte Dichter kommen zum Beispiel aus dem persischen Sufismus. Die wahabitischen Al-Shabaab vertreten eine Strömung des radikalen Islam, der keine Mystik duldet, keine Erneuerungen. Deshalb wurden die Zerstörung sufischer Gräber und Moscheen seitens der Terroristen in Somalia auch heftig kritisiert.12

Es geht um Macht, um Machterhaltung und territoriale Ansprüche. Terroristen wehen auch gerne mal mit dem Wind, denn da, wo das Geld herkommt, gibt es vielleicht noch mehr. Momentan sind in Nigeria mal wieder Entführungen angesagt, in Somalia machen sich Selbstmordattentate gut.
Wichtig wäre es wohl bei beiden Gruppen, die Versorgungen mit Waffen und Geld irgendwie zu kappen, ohne dass die Bevölkerung darunter leidet. Denn die Terroristen sind ja nicht irgendwo im Busch, sondern mitten drin, gut vernetzt und kontrollieren und terrorisieren alle, die sich ihnen in den Weg stellen oder nicht ins Weltbild passen. Lösungen ohne Waffengewalt? Wer sie hat, bekommt von mir einen Friedenspopelpreis!! :/ Stay strong Nigeria, stay strong Somalia!


Literatur
1http://www.sharia-in-africa.net/pages/staff/amara.php>
2http://www.tagesschau.de/ausland/bokoharam116.html
3http://www.cci.uct.ac.za/usr/cci/publications/aria/download_issues/2012/Andrea%20Brigaglia.pdf
4http://www.csmonitor.com/World/Security-Watch/Backchannels/2014/0506/Boko-Haram-doesn-t-really-mean-Western-education-is-a-sin
5http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afrika/islamisten-von-boko-haram-jahre-des-terrors-12933466.html
6http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-05/boko-haram-terror-geld
7http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/africa/west-africa/nigeria/216-curbing-violence-in-nigeria-ii-the-boko-haram-insurgency.pdf
8http://www.bbc.com/news/world-africa-14094632
9http://csis.org/files/publication/110715_Wise_AlShabaab_AQAM%20Futures%20Case%20Study_WEB.pdf
10http://www.hrw.org/world-report/2014/country-chapters/somalia
11http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-18592789
12http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/8077725.stm

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