Donnerstag, 27. Februar 2014

Waffenhandel Teil 1: Deutschlands Exporte



Waffenhandel Teil 1: Deutschlands Exporte

Kontrolle des Waffenhandels


Ich hoffe, meine Schwester, die immer sagt, ich soll nicht so viel über Waffenhandel lesen und mich dann aufregen, verzeiht mir, aber der internationale Handel mit Waffen und die Rüstungsindustrie sind zwei meiner „liebsten“ Nachforschungsobjekte. Und eines meiner größten Anliegen ist der weltweite Rückgang und – vielleicht eher durchführbar - die bessere Kontrolle von Waffenhandel.
Jeder kennt den Spruch „Nicht Waffen töten Menschen – Menschen töten Menschen“.
Zynischer geht es eigentlich kaum noch, wenn man sich anschaut, wie viele Menschen mit Waffen weltweit getötet und verletzt werden.
Wir haben eine Unmenge an Waffen erschaffen, die andere Menschen töten, verletzen, verstümmeln können. Manche sind brutal wie Minen oder Streubomben, andere, wie Maschinengewehre sind richtige Exportschlager weltweit. Alle haben ein Ziel: Das Töten von Menschen. Da kann mir niemand etwas anderes erzählen, Waffen sollen töten. Sonst hätte man ja Platzpatronen als Munition oder Betäubungsmittel.

Dabei nehmen Kleinwaffen eine ganz besondere Rolle ein. Die UN berichtet, dass die meisten Menschen, die in Konflikten getötet werden, durch Kleinwaffen ihr Leben verlieren.1
Kleinwaffen werden überall gerne eingesetzt, ob im organisierten Verbrechen oder im Privatgebrauch. Mit einer Kleinwaffe kann man Menschen schnell und meist unproblematisch kontrollieren, missbrauchen, töten.
Kleinwaffenbeispiele sind zum Beispiel Maschinengewehre, Pistolen, Gewehre und sogar Raketenwerfer. Kann man schließlich alles mit einer oder zwei Händen transportieren und benutzen (über die genaue Definition streiten sich Experten bis heute).2

Das Abkommen „Arms Trade Treaty“ (ATT) wurde am 2. April 2013 von der UN-Generalversammlung verabschiedet. 116 Staaten haben das Abkommen unterzeichnet, das eine bessere Kontrolle von konventionellen Rüstungsgütern weltweit ermöglichen soll.3
Konventionelle Waffen, das sind im Prinzip alle von Kleinwaffen bis zu Panzern, Kampfschiffen, bewaffneten Flugkörpern, Raketen und so weiter.

Das Abkommen ist eigentlich ein Riesenschritt für die weltweite Kontrolle. Dickes, fettes aber: Wie so immer bei vielen UN-Abkommen gelten diese als Selbstverpflichtung der jeweiligen Staaten. Jeder Staat soll nationale Überwachungsinstanzen einsetzen oder verstärken, um den Waffenhandel besser kontrollieren zu können.
Ein besonders hervorgehobener Teil des Abkommens ist, dass die Waffen nicht in Länder verkauft werden sollen, in denen sie Frieden und Sicherheit gefährden, gegen internationales humanitäres Recht verstoßen, Terrorismus oder das organisierte Verbrechen unterstützen würden.4

Nun stellt sich mir und anderen Abrüstungsfreunden die Frage, wann eine Riesenmenge an Waffen für alle und jeden denn jemals nicht die Sicherheit gefährdet, aber das ist eine andere, eine Grundsatzfrage…

Rüstungskontrolle in Deutschland – Gesetzeslage

Deutschland hat eines der schärfsten Waffengesetze weltweit. Andererseits sind wir seit Jahrzehnten drittgrößter Rüstungsexporteur.
SIPRI (Stockholm International Peace Institute) schreibt in seinem Waffenhandelsbericht von 2013, dass Deutschland mit 7 Prozent zum weltweiten Rüstungsexport beiträgt, nach Russland mit 26 und den USA mit 30 Prozent.5

Die größten Importeure waren Indien mit 12 Prozent, China mit sechs Prozent und Pakistan und Südkorea mit je fünf Prozent am Weltmarktanteil.

(Zynismus an) Indien, China und Pakistan sind ja bekannt für die konsequente Einhaltung der Menschenrechte…(Zynismus aus)

Das Kriegswaffenkontrollgesetz KrWaffKontrG Deutschlands besagt, dass die Bundesregierung, nämlich der Bundessicherheitsrat, den gesamten Umgang mit Kriegswaffen in Deutschland genehmigen muss, also „Herstellung, Erwerb, Überlassung der tatsächlichen Gewalt, jede Art der Beförderung sowie Vermittlungsgeschäfte“.6

Der Umgang mit sonstigen Rüstungsgütern handelt das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und die Außenwirtschaftsverordnung (AWV).
Dabei gibt es eine lange Liste von Ausnahmen von Rüstungsmaterial, das in bestimmte Länder wie zum Beispiel in die Elfenbeinküste, Birma oder Weißrussland nicht ausgeliefert werden darf.7
Genehmigungen erteilt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle unter dem Bundeswirtschaftsministerium.
Lieferverträge für Waffen und Rüstung in Drittländer (also im Falle Deutschlands Länder außerhalb der NATO, der EU oder der EWG) sollen die Vernichtung von alten Waffen beinhalten, bei Lieferung neuer Waffen oder wenn alte Waffen nicht mehr verwendet werden.
Erst kürzlich wurde über die G36 Gewehre von Heckler und Koch aus Deutschland berichtet, die im Drogenkrieg in Mexiko in den „gefährdeten“ Regionen gefunden wurden, obwohl dorthin explizit nicht ausgeliefert werden sollte.
Ich empfehle die Dokumentation „Waffen für die Welt“ von Daniel Harrich. Darin verfolgt das Reporterteam die deutschen Waffen rund um den Globus. Unter anderem lassen sich die Kleinwaffen in Mexiko, Kolumbien und Sudan finden. Alles super sichere Länder, die ganz gewiss gewissenhaft mit den Waffen umgehen werden.
Der Film ist in der ARD Mediathek noch bis Montag den 3. März zu sehen, lief bei der ARD in der günstigen Zeit 23:45 Uhr...(Film Waffen für die Welt)
Die Lieferverträge und strikten Regeln funktionieren für Waffen anscheinend genau so gut, wie die Einhaltung der Mindeststandards von Bekleidungsfirmen-Zulieferern in Ländern wie Bangladesch oder Indien. 

Rüstungsexporte aus Deutschland in Drittländer

Deutschland hat, laut dem Statistischen Bundesamt, im Jahr 2012 Kriegswaffen im Wert von über 946 Millionen Euro aus Deutschland ausgeführt (Rüstungsexportbericht Seite 34).
Ich beziehe mich auf den Bericht von 2012, da der Bericht für 2013 noch nicht erschienen ist.
Beim Durchlesen des Rüstungsexport-Berichtes von 2012 gibt es einiges, was nicht sofort ins Auge fällt.
Rüstungsgegner und Autor Jürgen Grässlin kritisiert in seinem Buch „Schwarzbuch Waffenhandel“, dass die meist jährlichen Berichte keine Informationen über Herstellerfirmen geben und mit monatelanger Verspätung und unvollständigen Angaben erscheinen (S. 138ff).8
Ich kann jedem, der sich detaillierter mit der deutschen Waffenindustrie und den Exporten beschäftigen will, dieses Buch nur wärmstens empfehlen.
Überhaupt ist kaum durchsichtig, wann genau welche Waren geliefert wurden. Aufgelistet werden nur die Ausfuhrgenehmigungen und die Ausfuhrgenehmigungs-Ablehnungen in Form der Waffen-/Rüstungskategorien. Hallo, deutsche Bürokratie!
Deutschland behält sich vor, Ausfuhrgenehmigungen nicht zu erlauben, wenn bestimmte Kriterien nicht erfüllt sind. Besonders interessant sind dabei Kriterium 7 und Kriterium 2.

Kriterium 7: „Risiko der Abzweigung von Militärtechnologie oder Militärgütern im Käuferland oder der Wiederausfuhr von Militärgütern unter unerwünschten Bedingungen.“

Kriterium 2: „Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch das Endbestimmungsland.“

Dabei lassen sich einige Länder finden, in denen Kriterium 7 und Kriterium 2 für einige Exporte in Kraft treten und für welche Ausfuhrgenehmigungen verweigert wurden. Besonders auffällig ist dabei die Nummer A0001, die unter anderem für die Bezeichnung von Maschinengewehren, Pistolen, Revolvern, also Kleinwaffen zuständig ist.

Beispiele:

Indonesien:                 51 Genehmigungen
unter anderem Teile für Panzer, Maschinenpistolen, Kommunikationsausrüstung
Gesamt: 9.447.814 Euro

Es gibt vier endgültige Ausfuhrgenehmigungs-Ablehnungen im Wert von 242.426 Euro der Kategorie A0001 (Kleinwaffen), A0003 (Munition dafür) und A0005 (Steuer-, Radarsysteme und Co), wegen Kriterium 7 und Kriterium 2, wie oben genannt.
Nicht ersichtlich wird, wie viele und welche Waffentypen letztlich nach Indonesien gegangen sind oder welche Einschränkungen bei der Lieferung gemacht wurden, denn bei den Genehmigungen taucht die Kategorie A0001 ebenfalls auf.
Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) stellt eigene Rüstungsberichte für Deutschland zusammen, die mit öffentlich zugänglichen Daten (unter anderem von den Vereinten Nationen) erstellt werden.9
Darin listen sie Lieferungen aus Deutschland nach Indonesien für 2012 auf: 569 Maschinenpistolen und 350 Sturmgewehre. 
Die Bundesregierung bestätigte für 2013 eine Lieferung von 164 Panzern nach Indonesien.10
Die Achtung der Menschenrechte kann in dem Land also nicht überall sicher gewährleistet werden (Kriterium 2), deshalb lieber nicht „alle“ Kleinwaffen nach Indonesien verkaufen. Aber Panzer schon. Abgesehen davon, dass Indonesien Jahrzehnte lang im Konflikt mit Ost-Timor stand, dabei massive Menschenrechtsverletzungen stattfanden und ein Abzug der UN-Blauhelm-Soldaten aus Ost-Timor knapp ein Jahr her ist.
Das nennt man verantwortungsvolle Rüstungspolitik?

Saudi-Arabien:            322 Genehmigungen
unter anderem für Grenzsicherungsausrüstung, Bordwaffensteuersysteme, Software für Flugkörpersteuerung und Kommunikationsausrüstung
Gesamt: 1.237.288.814 Euro

Dabei gab es fünf Ausfuhrgenehmigungs-Ablehnungen im Wert von 1349 Euro wegen Kriterium 7 und Kriterium 2 der Kategorie A0001 (Kleinwaffen), A0003 (Munition dafür) und A00011 (Elektronische und Navi-Ausrüstung).

Weil die Menschenrechte in Saudi-Arabien zum Teil nicht gewährleistet sind, die Menschenrechtslage prekär ist, (zum Beispiel dürfen Frauen immer noch nicht Auto fahren, ohne Genehmigung eines Mannes einer bezahlten Arbeit nachgehen oder reisen; Auspeitschen ist eine legitime Bestrafung, Folter in Gefängnissen erlaubt)11 dürfen Kleinwaffen und Munition nicht oder nur eingeschränkt ausgeführt werden. Auch hier steht in der Liste der Genehmigungen die Kategorie A0001.
2012 wurden laut GKKE nicht viele Kleinwaffen von Deutschland nach Saudi-Arabien geliefert. Das war aber anscheinend auch nicht nötig, da 2011 bereits 4213 Sturmgewehre, 1233 Maschinenpistolen, 46 Gewehre und Karabiner ins Land kamen.12
Über eine Milliarde Euro wurden für andere Rüstungsgegenstände ausgegeben. Was man wohl mit einem Bordwaffensteuerungssystem so anfangen kann? Vielleicht Schiffe, Flugzeuge oder Landfahrzeuge damit ausstatten? Klingt ziemlich durchschlagend!

Warum überhaupt Rüstungsexporte in Länder gehen, in denen die Menschenrechtslage kritisch ist und in denen man nicht etwa UN-Missionen beliefert oder unterstützt, ist für viele Menschenrechtler und Rüstungsexport-Kritiker und für mich persönlich unbegreiflich.
Wen will man damit unterstützen? Saudi-Arabien führt gegen wen gerade einen Krieg oder einen bewaffneten Konflikt, der wie zu rechtfertigen ist?
Die Arabische Welt muss schließlich mit Hilfe unserer Verbündeten stabil gehalten werden?
Klappt ja super.
Ich erwähne nur mal ganz kurz, dass auch in Libyen deutsche Waffen im Einsatz waren. Und nicht nur auf der „guten“ Seite.

Was ist, wenn politische Systeme umstürzen, sich ändern, (erneut) Gewalt ausbricht? Sollte man mehr Waffen, dieses Mal an die „richtigen“ Verbündeten liefern? An diejenigen, die mit der guten deutschen Wertarbeit, mit deutschen Panzern und G36 für Frieden und Sicherheit sorgen werden? Mehr Waffen = mehr Sicherheit?
Hat denn eigentlich niemand auf dieser Welt Lust, abzurüsten?
Ich fürchte nicht.

Abrüstung schalalaschade eigentlich irgendwie wohl nicht

Ich möchte betonen, dass ich das Abkommen Arms Trade Treaty (ATT) der Vereinten Nationen gut finde, auch, wenn ich es momentan nur für ein Lippenbekenntnis halte.
Vielleicht werden irgendwann einmal die Menschenrechte eingehalten und kontrollierter Kriegswaffenhandel wird dann überflüssig.
Aber bis dahin ist es leider ein langer (unmöglicher?) Weg.
Deutschland besitzt strenge Gesetze, was Kriegswaffenherstellung und -exporte angeht. Trotzdem werden mit den Exportgütern Verbrechen begangen und Waffen in einen Umlauf gebracht, der nicht mehr zu kontrollieren ist. Trotz aller Papiere, Abkommen und Gesetze: Waffen, die in Deutschland hergestellt und aus Deutschland exportiert werden, kommen nicht immer in die „richtigen“ Hände.
Bisschen Schwund ist immer, möchte man da meinen.
Nicht, wenn der Schwund ein Menschenleben ist.

Also, hopp, hopp. Mehr Geld und Personal in Abrüstung, Waffenvernichtung und Menschenrechtsprojekte stecken!!!
Es ist einfach verwerflich und heuchlerisch, anderen Ländern Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen und anzukreiden, wenn diese mit unseren Rüstungs-Exporten begangen werden. Also hopp, hopp, stopp mit Rüstungs-Exporten!!

Für weitere Informationen empfehle ich:

http://www.rib-ev.de/ (Rüstungsinformationsbüro)
http://www.sipri.org/ (Stockholm International Peace Research Institute)
http://www.un.org/disarmament/ATT/ (Statement der Vereinten Nationen)

Donnerstag, 20. Februar 2014

Ja, empört euch!



Empört euch!

Ende 2010 brachte Stéphane Hessel, Widerstandskämpfer und Menschenrechtsaktivist (möge er in Frieden ruhen), sein Manifest Indignez-Vous! Empört euch! heraus.
Mittlerweile wurde das knapp 30 Seiten lange Werk millionenfach in der ganzen Welt verkauft.1
Zu recht, wie ich finde.
Und ja, empört euch!

Das ist jetzt fast vier Jahre her und wurde in der Presselandschaft damals breit und bräsig diskutiert, aber wie so immer verpuffen Hypes so schnell wieder, wie sie gekommen sind.
Ich finde allerdings, dass Hessel mit seiner Schrift nicht einfach nur auf der „Welle der Empörung“ mitgesurft ist oder im Zuge des Arabischen Frühlings ein gutes Veröffentlichungstiming hatte.
Ich finde, dass seine Worte den Kern unseres neuen Zeitalters getroffen haben.
Dass wir uns in unserem Wohlstandsleben durchaus mehr empören sollten.

Hessel war Mitglied der Résistance, der Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus in Frankreich und 1948 Sekretär der Dritten Kommission der Generalversammlung der Vereinten Nationen.
Er war live dabei, als die universellen Menschenrechte verfasst wurden.
Und er beschwor in seinem Manifest die nachfolgenden Generationen, das Erbe der Résistance nicht ins Nichts gleiten zu lassen und sich daran zu erinnern, warum die Menschenrechte verfasst worden sind. Warum es gerade heutzutage wichtig ist, sich zu empören.
(Mehr zu Hessel hier2)

Nun ist Hessels Empörung (geboren 1917 in Berlin, 1924 ausgewandert nach Frankreich, Überlebender des KZ Buchenwald, Menschenrechtsaktivist...) aus dem Zuge einer sehr klaren Bedrohung entstanden. Wir jüngeren Generationen haben hier in Deutschland das Glück, nicht in einem Krieg zu leben, nicht Hunger und Not zu leiden oder Angst vor Folter und Mord haben zu müssen.
Aber Hessel hat auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht aufgehört, sich zu empören. In seiner Schrift wünscht er jedem Menschen einen Grund zur Empörung.
Und Gründe gibt es eigentlich genügend.

Gründe zur Empörung
Eine Kernaussage Hessels ist, sich zu empören, wenn die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Und es ist auch einer der Gründe, warum ich diesen Blog betreibe.
Ich empöre mich, weil ich in einer besseren Welt für alle leben möchte.
Empörung kann klein anfangen, zum Beispiel damit, dass ich mich beschwere, wenn Freunde einen homophoben Spruch ablassen und sich dabei witzig finden.
Das kann im größeren Stil sein, in dem ich bei einer Demonstration, zum Beispiel für die Rechte von Asylbewerbern, mitmache.

Grundlagen für Empörung?
Das statistische Bundesamt DESTATIS erläutert in seinem Bericht von 2013, dass politische Interessengruppen und Parteien an Mitgliedern verlieren. Das Engagement von Ehrenamt und in der Freizeit bleibt jedoch beständig.3
Wir haben im Gegensatz zu anderen Ländern eine oft gar nicht mal so schlechte Wahlbeteiligung und auch Petitionen und Volksbegehren existieren nicht nur als Randgruppe. Aber oft werden Demonstranten mit Randalierern oder Störenfrieden gleichgesetzt oder das Anliegen wird belächelt und heruntergespielt. Bei Sachen, die uns persönlich betreffen, gehen wir auch mal auf die Straße, aber wenn es um Menschenrechte anderer geht, bleiben viele von uns Beobachter?
Ich will damit ein Engagement für die eigene Sache (z.B. für Mindestlohn, gegen Atomkraft, gegen Überwachung...) überhaupt nicht herunterspielen. Dieses Engagement ist genauso wichtig. Aber ich wünsche mir, dass man sich auch bewusst für andere Menschen einsetzt und dass dieses Engagement ebenso wichtig wird.

In seinem Artikel „Aggressiver Humanismus“4 rätselt Philipp Ruch (Zentrum für Politische Schönheit)5 darüber, dass die Demokratie anscheinend keine Menschenrechtler hervorruft. Der Artikel ist sehr lesenswert, auch, wenn ich Ruch nicht in allen Punkten zustimme.
Er appelliert daran, dass Menschenrechtsorganisationen bitte nicht Verzweiflungstaten begehen müssten, um endlich gehört zu werden. Dass wir in unserem heutigen Wohlstand alle Mittel besitzen, um etwas zu verändern.
Und das ist der springende Punkt. Runter vom Sofa und rein in die Empörung! Dabei muss man nicht gleich die ganze Welt retten, sondern kann sich ruhig etwas suchen, für das man sich wirklich engagieren möchte.
Unterzeichnet Petitionen, die euch wichtig sind (ich meine jetzt nicht Lanz absetzen oder so :P), geht auf Demos, die sich für Menschenrechte einsetzen und bleibt immer, immer, immer gewaltfrei. Tauscht euch mit Gleichgesinnten aus und diskutiert mit Leuten, die anderer Meinung sind. Spendet dort, wo ihr mit gutem Gewissen spenden könnt.
Habt dabei immer die Menschenrechte im Hinterkopf.

Stéphane Hessel appelliert an uns alle, nicht die Gleichgültigkeit zu wählen, gegenüber der Empörung.
Empörung ruft Reaktionen hervor und das soll sie auch! Wir brauchen Diskussionen mit Menschen, die nicht unserer Meinung sind, wenn wir wirklich etwas verändern wollen.
Wir brauchen den Austausch, den Anreiz, über etwas anderes als über unsere eigenen Ideen nachzudenken. Nur dann kann sich in den Köpfen der Menschen etwas ändern. Ja, auch in unseren eigenen ;), denn man muss nicht immer Recht haben.
Und ja, das ist oft unbequem.

Beispiele der Empörung
Ich muss damit rechnen, dass eine andere Meinung populärer ist als meine eigene. Dass Menschen sich über Sachverhalte empören, die meiner Meinung nach bereits zur Einhaltung der Menschenrechte beitragen.

Beispiel: Einige Franzosen gehen gegen die Gleichstellung der Ehe für homosexuelle Paare auf die Straße5
Zuletzt demonstrierten Anfang Februar 2014 knapp 80.000 Franzosen lautstark gegen ein bereits abgesegnetes Gesetz, das seit Mai 2013 die Gleichstellung der Ehe für homosexuelle Paare und ein Adoptionsrecht im französischen Gesetz verankert.7
Menschenrechtler weltweit jubelten und doch sind nicht alle Franzosen damit glücklich, viele sind empört.
Da die Demonstrationen gegen das Gesetz im letzten Jahr regelmäßig und zahlenmäßig hoch genug waren, kann man sie nicht ignorieren. Aber man kann sich darüber empören. Man muss sogar darüber reden. Die offensichtliche Angst vor Veränderung, vor der angeblichen Abwertung der Familie, ist nicht nur in Frankreich ein hitzig diskutiertes Thema.
Meiner Meinung nach kann es einfach nicht angehen, dass die Gleichberechtigung für die einen (in diesem Fall gleichgeschlechtliche Paare) als Bedrohung für die anderen (in diesem Fall die französische Familie) gesehen wird.
Und ja, wir sollten uns darüber empören, dass Menschenrechte anscheinend immer nur für einige wenige gelten sollen und nicht für alle. Oder nur dann, wenn uns das Thema passt.

Das ist nur ein Beispiel für Empörung, die in Engagement übergegangen ist und weitere Reaktionen hervorruft. Meinungsfreiheit ist dazu da, dass sie genutzt wird. Und das ist tatsächlich gut für eine Demokratie. In der französischen Gesellschaft wird das Thema weiterhin heftig diskutiert. Es bleibt natürlich zu hoffen, dass die französische Regierung keinen Rückzieher macht, wie es zum Beispiel in einigen US-amerikanischen Staaten der Fall war, bis der Supreme Court DOMA (Defense of Marriage Act) kippte und so eine landesweite Grundlage für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben schaffte.8

Die Rufe und Aktionen für Menschenrechte dürfen nie die leisesten sein.
Empört euch, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden, werdet laut!
Es wird nicht besser, wenn man nur daran glaubt, auch wenn eine positive Einstellung nicht schadet.

Gerade weil es uns so gut geht, müssen wir uns empören.
Darüber, dass Menschen nicht überall gleich behandelt werden, auch nicht in unserem Wohlstandsdeutschland. Wir haben zum Beispiel noch kein Gesetz, dass homosexuellen Paare die gleichen Rechte gibt, auch wenn wir auf gutem Wege dahin sind.
Darüber, dass Sinti und Roma überall an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, auch in Deutschland.
Darüber, dass Menschen immer noch ausgegrenzt und diskriminiert werden, sei es wegen ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft.
Es gibt viele Gründe, laut zu werden und uns zu empören.
Seien wir also nicht mehr leise.
Empören wir uns!

Linkliste
1Stéphane Hessel: Empört euch! Ullstein-Verlag, Berlin 2011
2http://www.arte.tv/de/stephane-hessel-mit-95-jahren-gestorben/7353880,CmC=7353974.html
3https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Datenreport/Downloads/Datenreport2013Kap13.pdf?__blob=publicationFile
4http://moral-beauty.tumblr.com/post/77059255479/aggressiver-humanismus"
5http://www.politicalbeauty.de
6http://www.dw.de/proteste-gegen-familienpolitik-in-frankreich/a-17404108
7http://www.tagesschau.de/ausland/homo-ehe-frankreich104.html
8http://www.tagesschau.de/ausland/homoehe-usa102.html

Donnerstag, 13. Februar 2014

Spoken Word - Weckrufe mit Poesie

Spoken Word

Weckrufe mit Poesie

Spoken Word oder Performance Poetry ist eine Darstellungsform, eine Vortragsform, die es in einigen Ländern schon seit Jahrhunderten gibt. Vor dem Internetzeitalter, vor Fernsehen, Radio oder Zeitung, wurden Nachrichten, Ankündigungen, historische Ereignisse mündlich überliefert.
Bei Spoken Word geht es aber um mehr, als nur um die mündliche Überlieferung oder das Vorlesen von eigenen Gedichten. Die Stücke sollen unterhalten, anregen, nachdenklich stimmen. Jeder Künstler hat seinen eigenen Stil, seine eigene Agenda, oft sind die Erzählungen und Gedichte mit dem persönlichen Leben eng verbunden. Rhythmus, Reimschema, Stimme, all das spielt eine wichtige Rolle während der Vorführung. Es sind keine Grenzen gesetzt, wie es zum Beispiel in klassischen Gedichtformen wie Sonetten oder  japanischen Haikus der Fall ist.
Die Übergänge zum Rap und HipHop sind fließend. Im Gegensatz zu diesen Genres wird oft noch mehr Wert auf Inhalt, Ausdruck und Erzählweise gelegt.
Spoken Word gibt es auf der ganzen Welt.

In den USA spricht man die Verbreitung von Spoken Word zu einem Teil der Beat Generation zu, welche bereits in den 40ern und 50ern unter Allen Ginsberg, William Burroughs und Jack Kerouac mit ihren kreativen, neuen Formen des Ausdrucks schockierte.1


Ein Pionier des Spoken Word ist Gil Scott-Heron4. In den 60ern und 70ern wurde er unter anderem durch die Zusammenarbeit mit dem Musiker Brian Jackson bekannt; ihre Mischung aus Spoken Word, Jazz und Soul war ein Meilenstein der Musikgeschichte. 2012 erhielt er posthum einen Grammy für sein Lebenswerk.
Besonders bekannt ist sein Gedicht The Revolution will not be televised5

Während sich heutzutage eine Mehrzahl der Poetry Slam-Teilnehmer in Deutschland, beim Wettstreit der „Dichter”, meistens auf humoristische Erzählungen beschränken,
(siehe Gewinner der letzten drei Jahre:
nutzen viele Spoken Word Künstler in anderen Ländern die Bühne als Plattform für Sozialkritik.

Ich stelle euch drei (englische) Gedichtvorträge vor, die ich sehr bewegend finde. Wenn ihr deutsche Poesie-Künstler kennt, die nicht nur humoristisch unterwegs sind, immer her damit.

1. Kosal Khiev – Why I Write

In den 80ern flüchtet Kosal Khievs Familie mit ihm vor den Roten Khmer (radikal maoistische Diktatur unter Pol Pot in Kambodscha) in die USA. Dort schließt sich Khiev als Jugendlicher einer Gang an, begeht Straftaten und landet schließlich für 14 Jahre im Gefängnis. Nach seiner Entlassung wird er nach Kambodscha abgeschoben.9 10
Kosal Khiev lernt in der Gefangenschaft Spoken Word als Therapie und Ausdruck seiner inneren Welt zu nutzen.
Sein Stück „Why I Write“ handelt vom Leben im Exil und seinem Neuanfang in einem für ihn unbekannten Land. Harter Tobak, aber ein starkes Video.
Kosal Khiev unterrichtet mittlerweile Jugendliche in Spoken Word in Zusammenarbeit mit A New Day Cambodia11, einer NGO, die jugendliche Kambodschaner mit Unterkunft, Nahrung und Bildung versorgt.


2. Natalie Patterson – Beautiful Body

Natalie Patterson kommt aus Los Angeles und startete ihre Spoken Word Karriere 2002. Sie produzierte und moderierte eine Poetry Slam Show (Da Poetry Lounge) in L.A. und gibt mittlerweile selbst Workshops.
Ich bin durch das Internet-Wohlfühl-Kreativ-Konglomerat Soulpancake14 auf sie aufmerksam geworden.
(Ist übrigens jedem zu empfehlen, besonders „Kid President“ oder „The Science of Happiness“)
In einer Gesprächsrunde „That’s what she said“ diskutierten unterschiedliche Frauen der Kreativ-Branche über Körperbilder, Wahrnehmung und Schönheit von Frauenkörpern.
Zum Abschluss gab es ein Gedicht von Natalie Patterson. Ich habe ihren Auftritt ausgewählt, weil er eine sanftere Seite von Spoken Word zeigt und eine positive Botschaft enthält. Es ist darüber hinaus ein wunderschönes Gedicht.15

Das Gedicht beginnt bei Minute 5:30.


3. Rehema Nanfuka – a traumatized generation

Wenn wir über Spoken Word reden, dann darf eine Performance aus einem afrikanischen Land nicht fehlen. Mündliche Überlieferungen und Spoken Word haben in Subsahara-Afrika eine lange Tradition. Siehe dazu:17 18
Dank der modernen Medien wird Spoken Word einem breiteren Publikum bekannt gemacht. Das Goethe Institut hat zum Beispiel ein neues Projekt19 gestartet, in dem Spoken Word Künstler aus afrikanischen Ländern aufgezeichnet werden und sich über das Internet der Öffentlichkeit präsentieren können.
Durch das Projekt soll eine Vernetzung der Künstler entstehen und der kreative Austausch der Länder untereinander gefördert werden. (Übrigens gibt es 2014 in Bamako, Mali ebenfalls einen Poetry Slam des Goethe Instituts, dann auf Französisch)

Rehema Nanfuka stellt ihr Gedicht in Kampala, Uganda vor. Eigentlich hat sie einen Bachelor in International Business abgeschlossen, bekannt ist sie aber als Künstlerin und Schauspielerin.20
Ihr Gedicht „a traumatized generation“ erzählt von einem Nachkriegs-Uganda aus Sicht der jüngeren Generation. Tief durchatmen und dann anschauen! (Man kann Untertitel auf Englisch aktivieren)



Spoken Word für alle!

Ich mag Spoken Word. Kraftvolle, kleine Geschichten und Gedichte, die noch tagelang im Kopf umherschwirren. Spoken Word unterhält und inspiriert. Vor allem der direkte Kontakt zum Publikum ist, wie beim Theater oder Musikauftritt, etwas ganz besonderes. Dank des Internets kann jeder daran teilhaben.

Meine weiteren Empfehlungen:

Ein bewegendes Gedicht über Mobbing, visuell grandios umgesetzt.

Eine Performance über südafrikanische Minenarbeiter, vor einer Mine aufgenommen.

Wem Gedichte oder diese Form der Poesie nicht so sehr zusagen, dem empfehle ich Science Slams24. Wissenschaftliche Vorträge anschaulich erklärt. Auch auf Deutsch oft ein Genuss!


Donnerstag, 6. Februar 2014

Was ist los in Mali?



Was ist los in Mali?
Mali galt viele Jahre lang als Vorzeigedemokratie. Nach einer Jahrzehnte andauernden Militärdiktatur unter Moussa Traoré gab es nach 1990 Mehrparteienwahlen, die als frei und fair bewertet wurden.1
Wie ich bereits im Sambia-Blogeintrag beschrieb, ist diese Wandlung nicht einfach, kein Garant für ein stabiles System. Aber es ist ein wichtiger Anfang die Lebenssituation der Menschen im Land zu verbessern.

Was ist also passiert? Warum will die Bundesregierung Soldaten nach Mali schicken?

Mali liegt im Westen Afrikas angrenzend an Mauretanien, Algerien und Niger. 

Der größte Teil des Landes ist Wüstengebiet, ungefähr 14 Millionen Menschen leben hier. Mali ist über 1.240.000 Quadratkilometer groß, Deutschland würde also knapp dreieinhalb Mal hinein passen. Bis zur Unabhängigkeit 1960 war Mali unter französischer Kolonialherrschaft.
Hier beginnen bereits einige der Probleme, die sich bis in die heutige malische Politik auswirken. Anders als zum Beispiel in Sambia spielen ethnische Unterschiede in der malischen Gesellschaft eine sehr große Rolle.
Die französische Kolonialpolitik beinhaltete unter anderem die sprachliche und kulturelle Assimilation. Kulturelle Unterschiede, 66 Sprachen, ungefähr 30 ethnische Gruppen, all dies wurde unter der französischen Herrschaft irrelevant.2 3
Wichtig waren nur Französisch als Amtssprache (bis heute) und das französische System.4
Malis Staatsstruktur bezieht sich auf das französische Vorbild: Die Staatsform ist eine Präsidialdemokratie, die Verwaltung ist zentralistisch aufgebaut.
In der Kolonie Französisch-Sudan zerschnitt die Grenzziehung einige Siedlungsstrukturen, wie zum Beispiel der Songhay und der Bobo. 5
Hauptstadt wurde Bamako, das im südlichen Teil des Landes liegt. Der Norden blieb zu einem großen Teil unberührt, schließlich war dort das unzugängliche Wüstengebiet, was allerdings 60% des Landes einnimmt.
Das Gebiet beherbergt viele Nomaden, unter ihnen die Tuareg.
Unter der Kolonialherrschaft und der Militärdiktatur wurde der Norden unterdrückt und/oder ignoriert, vernachlässigt. Das ist allerdings keine Rechtfertigung für die Gewalttaten, die aus der Tuareg-Gruppe heraus verübt worden sind. Es zeigt, dass der Norden von Anfang an mit innerstaatlichen Problemen und Auseinandersetzungen zu kämpfen hatte, ohne mögliche Lösungsansätze. 6 7

Es gab bereits 1962 und 1990 gewalttätige Konflikte in Zusammenhang mit den Tuareg im Norden des Landes. 1962 ging es hauptsächlich um hohe Steuern für Viehbesitz und die Integrierung der Nomaden in ein korruptes Staatssystem unter der Militärherrschaft. Die Folge war die Flucht vieler Tuareg nach Algerien, Burkina Faso und Libyen.8
Beim gewalttätigen Konflikt 1990 hatten viele Akteure ihre Hände im Spiel: Gadaffi wollte unter anderem einen Tuareg-Staat mitschaffen und Algerien einige der malischen Tuareg-Immigranten loswerden. (Abgesehen davon, dass sowohl in Algerien, als auch in Niger und Libyen Tuareg Nomaden ihre Heimat finden.) 1995 kam es zum Ende der Gewalt und viele Tuareg-Kämpfer wurden in die malische Armee integriert, ein Teil des Nordens selbst verwaltet. In den 2000ern gab es immer wieder auftretende Auseinandersetzungen mit Tuareg-Rebellen in Mali.9
Hierzu muss man wissen, dass auch die Tuareg keine homogene Gruppe bilden und unterschiedliche Strukturen besitzen. Nicht jeder Tuareg ist ein Rebell, der sich gegen die malische Regierung wendet. Es wird zum Teil davon gesprochen, dass im Laufe der Konflikte radikale Gruppen die Tuareg unterwanderten. 10

Der Azawad-Staat

Der Bürgerkrieg in Libyen hat Spuren hinterlassen, auch in Mali. Viele Tuareg und andere Gruppen, die während der früheren Konflikte aus Mali auswanderten, kehrten nach dem Zerfall der Diktatur in Libyen zurück.
Im Januar 2012 putscht die MNLA (Mouvement national pour la libération de l’Azawad = Nationale Bewegung zur Befreiung Azawads) zusammen mit Ansar Dine, AQIM (Al-Qaida in the Islamic Maghreb) und MUJAO (Mouvement pour l’unicité et le jihad en Afrique de l’Ouest = Bewegung zur Einigung und Jihad in Ostafrika) die nördlichen Regierungsbezirke Malis und übernimmt dort gewaltsam die Kontrolle.11
Die MNLA soll hauptsächlich aus Tuareg-Rebellen bestehen, denen sich Deserteure aus der libyschen und malischen Armee anschlossen.
Ansar Dine, AQIM und MUJAO werden als radikal-islamistisch eingestuft, die unter anderem die Sharia einführen wollen. Ansar Dine sollen malische Tuareg-Wurzeln haben, AQIM stammt ursprünglich aus Algerien und MUJAO fühlt sich als Teil von Al-Qaeda.12 13
Im April 2012 deklarieren die Tuareg der MNLA den unabhängigen (Nord-)Staat Azawad von Mali, inklusive der Regionen Timbuktu, Kidal und Gao.8

Hier gibt es viele unterschiedliche Konfliktparteien. Die Tuareg sind bereits seit der Gründung der Republik Mali und auch während der Kolonialzeit in Konflikte mit der jeweiligen Staatsgewalt verwickelt, gelten aber als säkular, haben also keine religiösen, sondern vielmehr ethnisch und territorial motivierte Gründe. Das führt zu Auseinandersetzungen mit den radikal islamistischen Kämpfern der anderen Rebellen-Gruppen. (Zur Information: Fast 90 Prozent der Bevölkerung Malis sind Muslime, keine radikal islamistischen Terroristen, es geht auch ohne Gewalt ;))
Die radikalen Gruppen unterstützen die MNLA-Tuareg in ihrer Staatsgründung, rufen aber zusätzlich das Sharia Gesetz im neuen Staat aus. Schwere Menschenrechtsverletzungen folgen, so wie die Zerstörung heiliger Stätten in Timbuktu.
Die UN spricht davon, dass die MNLA nach der Unabhängigkeitserklärung von den radikalen Islamisten zum großen Teil aus den nördlichen Städten und Regionen vertrieben wurde.

Die malische Regierung ruft nach Beginn der gewalttätigen Konflikte nach militärischer Unterstützung der Weltgemeinschaft, da die malische Armee den Terroristen und Besetzern nicht viel entgegensetzen kann. Dies wird auch als Legitimation für den ersten militärischen Einsatz Frankreichs „Operation Serval“ im Januar 2013 gesehen.14
Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete zuvor (Dezember 2012) die Resolution 2085, die unter anderem die Unterstützung Malis durch militärische Einsätze vorschlägt (AFISMA).
Dabei sollten die Einsätze „afrikanisch geführt“ werden, nicht primär von europäischen oder amerikanischen Streitkräften, sondern unter der ECOWAS (Economic Community of West African States). Frankreich hatte vehement auf eine militärische Intervention in den Konflikt bestanden.15 16 17
Malis Regierung ruft Frankreich im Januar 2013 zur Hilfe, als die Rebellen immer weiter südlich vordringen, bevor die AFISMA fertig aufgestellt ist. Frankreich greift rasch militärisch ein (Operation Serval), die AFISMA-Planung wird daraufhin beschleunigt.

Im Juni 2013 kommt es zum Waffenstillstand und einem Deal zwischen den MNLA-Tuareg-Rebellen und Vermittlern der EU und der UN. Mit den radikalen Islamisten wird nicht verhandelt, ein Versuch mit den malischen Ansar Dine scheitert.18
Die radikal islamistischen Kämpfer sind weitgehend zurück gedrängt worden, die malische Regierung ist bemüht, Recht und Ordnung wiederherzustellen und den Norden des Landes zu stabilisieren.

Zusammengefasst:

Der Konflikt in Mali ist nicht neu, aber dank der politischen Instabilität der Nachbarn wie zum Beispiel Libyen, oder Mauretanien und aufkeimender radikal islamistischer Gewalt verschiedener Gruppen im Land und in angrenzenden Ländern, bleibt die Sicherheitslage des Landes und der Sahel-Zone angespannt bis kritisch.
Das UN Flüchtlingswerk spricht von über 180.000 Flüchtlingen, die aus Mali geflohen sind und von über 300.000 Menschen, die im Süden des Landes Zuflucht vor Gewalt, Hunger und der instabilen Lage des Nordens suchen.19

Mehrere Parteien sind in Mali am Konflikt beteiligt:

·        Die Tuareg-MNLA, Tuareg-Nomaden, die den Norden Malis als eigenen Azawad-Staat für sich beanspruchen wollen
·        Die radikal islamistischen Gruppen: Ansar Dine, AQIM und MUJAO, die noch nicht aufgegeben haben
·        Desertierte Soldaten der Malischen Armee
·        Die Malische Regierung (zur Zeit unter Ibrahim Boubacar Keita, in freier Wahl 2013 gewählt)
·        Dazu kommt die Französische Armee mit momentan 3000 stationierten Soldaten, neben der mit insgesamt rund 6000 Soldaten starken militärischen Präsenz des von der UN legitimierten Einsatzes MINUSMA, dem Nachfolger von AFISMA.20 21

Der aktuelle Konflikt in Mali ist also keineswegs rein radikal islamistisch geprägt. Wer sich mit der Geschichte des Landes näher auseinandersetzt, der sieht, wie komplex die Staatenbildung und Gesellschaft Malis sind. Im Mittelalter reichte das Mali Imperium von weit über Timbuktu bis hin zum Atlantik. In Djenné und Timbuktu wurden zahlreiche Moscheen, Friedhöfe und heilige Stätten zum Weltkulturerbe ernannt.
Mittlerweile gibt es über 100 Parteien in Mali, etliche NGOs und dabei auch zahlreiche Differenzen, die sich nicht innerhalb von über 50 Jahren nach der Unabhängigkeit in Luft auflösen.
Klar ist, in der Sahelzone entlang der Sahara gibt es nicht nur in Mali Probleme mit radikal islamistischen Gruppen, die sich immer wieder in gewalttätige Konflikte einmischen, sie forcieren oder Gewalt schüren.
Klar ist aber auch, dass innerstaatliche Konflikte auf mehr als auf Terror radikaler Islamisten zurück zu führen sind. Zum Beispiel auf ethnisch motivierte Benachteiligung, Elitenbildung, Korruption, Grenzkonflikte, fehlende Infrastruktur oder Sozialsysteme, Armut und Hungersnöte, usw.

Warum ein Deutscher Einsatz in Mali?

Schon während der ersten Intervention hat Deutschland die Streitkräfte und den Wiederaufbau Malis unterstützt. Die Mandate laufen bis heute weiter.
Nach eigenen Angaben beteiligte sich die Bundeswehr bisher mit bis zu 180 Soldaten an der europäischen Ausbildungsmission des malischen Militärs und mit Lufttransport und Luftbetankung an der Stabilisierungsmission MINUSMA der Vereinten Nationen. 22 23

Am 05.02.2014 beschloss das Kabinett der Bundesregierung die Präsenz in Mali aufzustocken und bis zu 250 Soldaten zur Ausbildung der Armee ins Land zu schicken. Der Bundestag muss bis zum 21. Februar noch zustimmen. 24
Deutschland sieht sich also in der Pflicht, mit Bundeswehreinsätzen unter anderem für die Stabilität Malis zu sorgen. Meist wird als Grund neben der Völkerrechts-Legitimation der Schutz deutscher Staatsbürger genannt, dadurch, dass Terroristen in einem unsicheren Land keinen Nährboden finden, wenn der Einsatz Erfolg hat.
Frankreich wollte ursprünglich seine Soldatenanzahl auf 1000 begrenzen, da auch in einem anderen Konfliktherd Zentralafrikas, der Zentralafrikanischen Republik, Bedarf an weiteren Soldaten besteht.25

Wie wir sehen, ist der Konflikt im Land nicht einfach zu bewältigen, das unwegsame nördliche Gebiet erinnert viele an Afghanistan. Ist ein Erfolg also mit Hilfe deutscher Kräfte überhaupt möglich?
Zentraler Punkt des UN legitimierten Einsatzes in Mali ist die Stabilisierung des Landes. Deutschland ist mit der Ausbildung der Armee bereits daran beteiligt, also scheint es konsequent, dort weiter zu machen.

Ich sehe einen langfristigen Einsatz auf uns zu kommen, denn der Konflikt um den Norden des Landes besteht bereits seit über 100 Jahren. Ohne mit den Tuareg zu verhandeln, die dafür allerdings ihre Kampfhandlungen einstellen müssten, gibt es keine längerfristige, friedliche Lösung. Die Situation der radikal islamistischen Gruppen, die in der gesamten Sahel-Zone ihr Verbreitungsgebiet haben und im Niger, in Libyen und anderen Staaten in der näheren Umgebung Malis wirken, wird sich auch nicht durch das ewige Zerschlagen der kurzfristig besetzten Gebiete und Städte lösen. Oder durch ein ständiges „Dagegenhalten“.

Deutschland in Mali? Mal schauen, wie es weitergeht!


Damit nicht alles so pessimistisch ist: Hier wieder ein frisches Lied aus Mali zur Feier des Landes:

Linkliste

1Rainer Tetzlaff und Cord Jakobeit - Das nachkoloniale Afrika Grundwissen Politik Band 35
2http://www.ethnologue.com/country/ML
3http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Mali_node.html
4Heine, Bernd und Mechthild Reh: Sprachpolitik in Afrika. Mit einem Anhang: Bibliographie zur Sprachpolitik und Sprachplanung in Afrika.Hamburg: Helmut Buske, 1982
5http://liportal.giz.de/mali/geschichte-staat/
6http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/onTEAM/preview/Ipw/Akuf/kriege/321ak_mali_print.htm
7http://www.heise.de/tp/artikel/38/38532/1.html
8http://www.ipinst.org/publication/policy-papers/detail/387-mali-and-the-sahel-sahara-from-crisis-management-to-sustainable-strategy.html
9http://www.aljazeera.com/indepth/features/2012/03/201232211614369240.html
10http://www.sid-berlin.de/files/SID-Band11_Gewaltt%C3%A4tige-Konflikte.pdf
11http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minusma/background.shtml
12http://www.state.gov/r/pa/prs/ps/2013/03/206493.htm
13http://www.state.gov/r/pa/prs/ps/2012/12/201660.htm
14http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/frankreich-militaerintervention-mali-terrorismus-vereinte-nationen-mandat/
15http://www.securitycouncilreport.org/un-documents/malisahel/
16http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-21009958
17http://www.dw.de/streit-um-mali-mission/a-16440986
18http://www.france24.com/en/20130618-mali-deal-tuareg-rebels-mnla-bamako-qaeda/
19http://www.unhcr.org/pages/49e484e66.html
20http://www.ouest-france.fr/mali-la-france-devrait-renforcer-sa-presence-militaire-1689646
21http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minusma/facts.shtml
22http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK9pPKUVL3UzLzixNSSqlS93MziYqCK1Dy93MScTCCRl5JYkqpfkO2oCACrGRqc/
23http://www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/einsatzbw/!ut/p/c4/04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK9pPKU1PjUzLzixJIqIDcxu6Q0NScHKpRaUpWql5uYk6mXmZeWr1-Q7agIANrtCHc!/
24 http://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-mandat-verlaengert100.html
25http://www.sueddeutsche.de/politik/mali-und-zentralafrikanische-republik-bundesregierung-bereitet-afrika-einsatz-vor-1.1865908