Donnerstag, 10. April 2014

Ruanda, und jetzt?


Ruanda, und jetzt?

Viele Medien berichteten in den letzten Tagen über den Jahrestag (07.04.) des Völkermordes von 800.000 bis 1 Mio. Tutsi und moderaten Hutu in Ruanda vor über 20 Jahren. Eine Flamme wurde am Genozid-Denkmal entzündet, die 100 Tage brennen soll, so lange, wie das Morden anhielt; die ganze Woche wird regelmäßig als Trauerwoche festgelegt, es soll keine Hochzeiten, Feierlichkeiten oder andere öffentliche Veranstaltungen geben.1
20 Jahre können eine lange Zeit sein. Aber die Aufarbeitung des Völkermordes wird noch sehr, sehr lange dauern.
Wie sieht es denn aktuell in Ruanda aus? Welche Zukunft besitzt das Land?

Überblick



In Ruanda leben rund 10 Millionen Menschen auf einer Fläche von 26.340 Quadratkilometern, was in etwa der Fläche Brandenburgs entspricht (Brandenburg hat knapp 2,5 Mio Einwohner).2
Drei ethnische Gruppen stellen den größten Teil der Bevölkerung, die Hutu (84%), die Tutsi (16%) und die Twa (0,1-1%), Landessprachen sind Englisch, Französisch, Nationalsprache ist Kinyarwanda. 3
Ruanda ist eine präsidiale Republik, Paul Kagame regiert seit 2000 (er wurde 2010 für 7 Jahre wiedergewählt).

Politisches System seit 1973

Nach den Wirren der Unabhängigkeit, frühen Massakern an der Bevölkerung und Parteien- und militärischen Bündnisgründungen, übernimmt Militärchef Juvénal Habyarimana (Nord-Hutu) 1973 in einem Militärputsch die Regierungsgeschäfte. Er führt damit ein Einparteiensystem mit der Partei MRND (Mouvement Républicain National pour la Démocratie et le Développement ) ein, lässt sich zum Präsidenten auf Lebenszeit wählen und regiert bis zu seinem Tod in einem Flugzeugabsturz nach einem Anschlag 1994 (oft beschrieben als der Funke, der den Genozid mit auslöste) 21 Jahre.4

Mehrparteiensystem

1990 wird unter internationalem Druck und den anhaltenden Spannungen im Land ein Friedensabkommen unterzeichnet (Arusha Agreement), inklusive Mehrparteiensystem, Integration der (Tutsi)-RPF(Ruandische Patriotische Front)-Politiker und Integration der (Tutsi-)RPA(Ruandische Patriotische Armee)-Kräfte in die nationale Armee.5
Auf den weiteren Verlauf des folgenden Genozids werde ich hier nicht näher eingehen, wer Details nachlesen möchte, der kann dies hier und hier tun.
Es dauert noch bis 2003 bis die ersten Mehrparteienwahlen nach der Verkündigung der neuen Verfassung stattfinden können. Paul Kagame und die RPF gehen dort als Sieger gehen hervor. Kagame wird allerdings bereits ab 1994 als Vizepräsident der Übergangsregierung eingesetzt, 2000 übernimmt er die Regierungsgeschäfte bis zu den Wahlen 2003.6

Mehrparteiensystem?

Gabriele Kruk und Sonja Vorwerk (im Auftrag der GTZ) kritisieren, dass 2003 zwar 8 Parteien zur Wahl standen, aber die einzig wirkliche Opposition, die Hutu-Partei MDR (Mouvement Démocratique Républicain), bereits vor den Wahlen verboten wurde. 7
Das ist sicherlich dem Grauen des Völkermordes geschuldet, aber die quasi von Tutsi dominierte Regierung, bis hin zum Staatsfernsehen und Staatsradio, verhindert damit einen wirklichen politischen Austausch. Auch wenn es Hutu-Politiker innerhalb der Regierung gibt, die wichtigsten Positionen bleiben mit Tutsi besetzt. Darüber hinaus soll der ethnische Hintergrund nicht öffentlich gemacht werden, als Teil der Versöhnungsstrategie. Zu der Geschichte der Ethnien und der politischen Instrumentalisierung empfehle ich ebenfalls den CSIS Artikel und die UN Seite.
(Diktaturen oder Einparteienherrschaften können ebenfalls stabil sein, das heißt, sie besitzen zum Beispiel das Gewaltmonopol über das Land oder sorgen für wirtschaftlichen Aufschwung und infrastrukturelle Verbesserungen. Aber eine langfristige Stabilität des Landes ist nur dann gewährleistet, wenn die politische Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen vorhanden und möglich ist.)

Auch vor den Wahlen 2010 greift die Regierung massiv in mögliche Oppositionsbemühungen ein. Parteien werden mit der Begründung des ethnischen Divisionismus oder genozider Ideologie verboten, Oppositionsbefürworter und kritische Journalisten verhaftet. (siehe 4 und 7)
Der erneute Wahlerfolg 2010 von 93% für die RPF und Paul Kagame kann also durchaus kritisch bewertet werden. Laut Regierung lag die Wahlbeteiligung bei über 97% (Link) Schließlich besteht ein Mehrparteiensystem idealerweise aus mehreren Parteien, welche unterschiedliche Interessen und Bevölkerungsgruppen repräsentieren. Wenn man vorher alles Unerwünschte eliminiert, was für einen Wahlsieg hat man dann errungen? Und zu welchem Preis?

Wohin nun, Ruanda?

Es gab und gibt einige Einrichtungen, Organisationen und Projekte, die relativ erfolgreich in Ruanda starteten, um eine Versöhnung und Stabilisierung des Landes zu ermöglichen.
NURC (National Unity and Reconciliation Commission) die Versöhnungskommission nahm 1999/2000 ihre Arbeit auf. Zum Beispiel wird im Itorero Programm Jugend- und Erwachsenenbildung betrieben, so wie weitere gemeinschaftliche Aktivitäten wie Tänze, Theater oder Sport. Alles zur Stärkung der gemeinsamen nationalen Identität und des Friedens. Darüber hinaus leitet und dokumentiert NURC die Versöhnungsvorgänge, will Vermittler für Konfliktparteien sein und durch weitere Beratungen und Informationsveranstaltungen helfen.8
Kritiker sagen, NURC stünde der Regierung nahe und würde als Instrument des Präsidenten missbraucht werden (siehe 7).

Die Gacacas, kommunale Gerichte, die bei der Verurteilung der Genozidverbrecher mithalfen, waren von 2002 bis 2012 in ganz Ruanda tätig. Dabei konnten die regionalen Gerichte mit Hilfe von Laienrichtern die Angeklagten verurteilen; ein bis zwei Millionen Menschen sollen angeblich diese Verfahren durchlaufen haben. Schließlich war das Gerichtssystem nach dem Völkermord kollabiert und überfordert.9
Kritik am Gacaca-System gibt es hauptsächlich von der internationalen Gemeinschaft, die das Verfahren als unzureichend bezeichnet und ihm mangelnde Transparenz und Missbrauch vorwirft. (siehe 7 9 10)
Aufgrund von überfüllten Gefängnissen gibt es regelmäßige Massenentlassungen von Verurteilten und Verdächtigen. Täter und Opfer leben so oft wieder Tür an Tür in ihren Dörfern.11 12

Die RDRC (Rwanda Demobilization and Reintegration Commission) entwaffnete und demobilisierte von 2002 bis 2008 über 29.000 ruandische Soldaten, Milizenmitglieder und Kindersoldaten und unterstützte sie bei der Reintegration in die Zivilgesellschaft (von 1997 bis 2000 gab es bereits eine erste Phase).13

Ruanda und Kongo

1996 marschiert die ruandische Armee in den Kongo ein, der erste Kongokrieg beginnt. (Gefolgt von einem zweiten 1998) Begründung waren unter anderem die Aktivitäten radikaler Hutu-Milizen und ehemaliger Genozid-Beteiligter (Interahamwe und Impuzamugambi genannt) und erneuter Bildung der Milizen-Armee, die von dort aus Angriffe gegen Ruanda und auch gegen Teile der kongolesischen Bevölkerung planten und starteten. Auch die innenpolitische instabile Lage des Kongo trug zur Eskalation bei. Bis heute sind mögliche Kriegsverbrechen an Hutu-Flüchtlingen im Kongo mit ruandischer Armeebeteiligung oder mit ihrer Unterstützung ein Tabuthema; Äußerungen darüber können strafbar sein. Auch die immer noch aktiven Hutu-Milizen (jetzt unter dem Namen FDLR (Forces Démocratique pour la Libération du Rwanda)) und weitere radikale Gruppen im Kongo-Ruanda-Grenzgebiet, stellen ein Problem für die gesamte Region dar. 14 15

Ruanda nach 2010?

Ruanda ist immer noch abhängig von Hilfsgeldern. Die ODA (Official Development Assistance) stellte 2012 44,2 Prozent des nationalen Budgets. Über 40 % der jungen Bevölkerung ist arbeitslos. Besonders in ländlichen Regionen lässt sich kaum Arbeit finden. 5 16 17
Im Sozialsystem gibt es Verbesserungen, kostenlose (Grund-)Schulbildung, Zugang zu Krankenhäusern und Stärkung der Infrastruktur. Auch in Sachen Umweltschutz hat sich die Regierung zumindest einiges vorgenommen. Zu den Programmen: Link18

Auch wenn Präsident Paul Kagame zur nächsten Wahl 2017 nicht mehr antreten darf, die Machtbefugnisse des Präsidenten sind für eine Demokratie zu weitreichend. Er bestimmt unter anderem den Premierminister, Mitglieder des Kabinetts, Armeeführungskräfte und die obersten Richter (siehe 5). Viele sehen darin aber die Stärke des Staates, der nur so ethnische Spannungen zurückdrängen oder im Zaum halten kann und mit starker Hand das Land seit 14 Jahren stabil halte.
Die Armutsbekämpfung wird bei der Entwicklung des Landes eine tragende Rolle spielen. Auch die Differenzen innerhalb der Regierung und die Spannungen zum traumatisierten Nachbarn Kongo werden entscheidend sein. Ob die radikalen Milizen in den Grenzgebieten verdrängt oder gar demobilisiert und entwaffnet werden können, bleibt fraglich.
Wenn der autoritäre Führungsstil der Machtelite eventuell reduziert wird, sich eine relevante Opposition bilden kann, wenn sich in den Gemeinden soziale Netzwerke, Organisationen und Vereine gründen, die ein gemeinschaftliches Leben vorantreiben, wenn eine kritische Presse etabliert wird, dann kann das vielleicht etwas werden mit einem stabilen Ruanda für alle Beteiligten. Ruandas Bevölkerung bleibt traumatisiert und gespalten, auch nach 20 Jahren. Das wird noch eine lange Zeit dauern, bis ein Vertrauen in Nachbarn, wenn überhaupt, hergestellt werden kann.
Die junge Bevölkerung, die den Genozid nicht miterlebt hat, dessen Auswirkungen und Folgen aber auch in ihrem Leben sichtbar sind, bleibt die Hoffnung des Landes.

Linkliste
1http://www.dw.de/ruanda-trauert-um-v%C3%B6lkermordopfer/a-17548060
2href="http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ruanda_node.html
3http://www.un.org/en/preventgenocide/rwanda/education/rwandagenocide.shtml
4http://csis.org/files/publication/110623_Cooke_Rwanda_Web.pdf
5http://www.bti-project.org/fileadmin/Inhalte/reports/2014/pdf/BTI%202014%20Rwanda.pdf
6http://www.paulkagame.com/biography.php
7http://www2.gtz.de/dokumente/bib/04-5480.pdf
8http://www.nurc.gov.rw/index.php?id=69
9http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-18490348
10http://www.hrw.org/de/news/2011/05/31/ruanda-gacaca-gerichte-hinterlassen-zwiesp-ltiges-erbe
11http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-14093322
12http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/ndr/2014/ruanda-104.html
13http://www.mdrp.org/PDFs/MDRP_RWA_FS_1108.pdf
14http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ruanda-voelkermord-mit-ansage-12882581.html
15http://www.ohchr.org/Documents/Countries/ZR/DRC_MAPPING_REPORT_FINAL_EN.pdf
16http://www.die-gdi.de/uploads/media/European-Report-on-Development_2013.pdf
17http://data.worldbank.org/country/rwanda
18http://www.unrwanda.org/undp/livelihood.htm








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