Ruanda, und jetzt?
Viele Medien berichteten in den letzten Tagen über
den Jahrestag (07.04.) des Völkermordes von 800.000 bis 1 Mio. Tutsi
und moderaten Hutu in Ruanda vor über 20 Jahren. Eine Flamme wurde am
Genozid-Denkmal entzündet, die 100 Tage brennen soll, so lange, wie
das Morden anhielt; die ganze Woche wird regelmäßig als
Trauerwoche festgelegt, es soll keine Hochzeiten, Feierlichkeiten
oder andere öffentliche Veranstaltungen geben.1
20 Jahre können eine lange Zeit sein. Aber die
Aufarbeitung des Völkermordes wird noch sehr, sehr lange dauern.
Wie sieht es denn aktuell in Ruanda aus? Welche
Zukunft besitzt das Land?
Überblick
In Ruanda leben rund 10
Millionen Menschen auf einer Fläche von 26.340 Quadratkilometern,
was in etwa der Fläche Brandenburgs entspricht (Brandenburg hat knapp 2,5 Mio Einwohner).2
Drei ethnische Gruppen stellen den größten Teil der Bevölkerung, die Hutu (84%),
die Tutsi (16%) und die Twa (0,1-1%), Landessprachen sind Englisch,
Französisch, Nationalsprache ist Kinyarwanda. 3
Ruanda ist eine
präsidiale Republik, Paul Kagame regiert seit 2000 (er wurde 2010 für
7 Jahre wiedergewählt).
Politisches System seit 1973
Nach den
Wirren der Unabhängigkeit, frühen Massakern an der Bevölkerung und
Parteien- und militärischen Bündnisgründungen, übernimmt
Militärchef Juvénal Habyarimana (Nord-Hutu) 1973 in einem Militärputsch
die Regierungsgeschäfte. Er führt damit ein Einparteiensystem mit
der Partei MRND (Mouvement Républicain National pour la Démocratie
et le Développement ) ein, lässt sich zum Präsidenten auf
Lebenszeit wählen und regiert bis zu seinem Tod in einem
Flugzeugabsturz nach einem Anschlag 1994 (oft beschrieben als der
Funke, der den Genozid mit auslöste) 21 Jahre.4
Mehrparteiensystem
1990 wird unter internationalem Druck und den anhaltenden Spannungen im Land
ein Friedensabkommen unterzeichnet (Arusha Agreement), inklusive
Mehrparteiensystem, Integration der (Tutsi)-RPF(Ruandische
Patriotische Front)-Politiker und Integration der
(Tutsi-)RPA(Ruandische Patriotische Armee)-Kräfte in die nationale
Armee.5
Auf den weiteren Verlauf des folgenden Genozids werde ich hier nicht
näher eingehen, wer Details nachlesen möchte, der kann dies hier
und hier tun.
Es dauert noch bis 2003 bis die ersten Mehrparteienwahlen nach der
Verkündigung der neuen Verfassung stattfinden können. Paul Kagame
und die RPF gehen dort als Sieger gehen hervor. Kagame wird
allerdings bereits ab 1994
als Vizepräsident der Übergangsregierung eingesetzt, 2000 übernimmt er die Regierungsgeschäfte bis zu den Wahlen 2003.6
Mehrparteiensystem?
Gabriele Kruk und Sonja
Vorwerk (im Auftrag der GTZ) kritisieren, dass 2003 zwar 8 Parteien
zur Wahl standen, aber die einzig wirkliche Opposition, die
Hutu-Partei MDR (Mouvement Démocratique Républicain), bereits vor
den Wahlen verboten wurde. 7
Das ist sicherlich dem
Grauen des Völkermordes geschuldet, aber die quasi von Tutsi
dominierte Regierung, bis hin zum Staatsfernsehen und Staatsradio,
verhindert damit einen wirklichen politischen Austausch.
Auch wenn es Hutu-Politiker innerhalb der Regierung gibt, die
wichtigsten Positionen bleiben mit Tutsi besetzt. Darüber hinaus
soll der ethnische Hintergrund nicht öffentlich gemacht werden, als
Teil der Versöhnungsstrategie. Zu der Geschichte der Ethnien und der
politischen Instrumentalisierung empfehle ich ebenfalls den CSIS
Artikel und die UN Seite.
(Diktaturen oder Einparteienherrschaften können ebenfalls stabil sein, das heißt,
sie besitzen zum Beispiel das Gewaltmonopol über das Land oder
sorgen für wirtschaftlichen Aufschwung und infrastrukturelle
Verbesserungen. Aber eine langfristige Stabilität des Landes ist nur
dann gewährleistet, wenn die politische Teilhabe aller
Bevölkerungsgruppen vorhanden und möglich ist.)
Auch vor den Wahlen 2010 greift die Regierung massiv in mögliche
Oppositionsbemühungen ein. Parteien werden mit der Begründung des
ethnischen Divisionismus oder genozider Ideologie verboten,
Oppositionsbefürworter und kritische Journalisten verhaftet. (siehe
4 und 7)
Der erneute Wahlerfolg 2010 von 93% für die RPF und Paul Kagame kann also durchaus kritisch
bewertet werden. Laut Regierung lag die Wahlbeteiligung bei über 97% (Link) Schließlich besteht ein Mehrparteiensystem
idealerweise aus mehreren Parteien, welche unterschiedliche Interessen und
Bevölkerungsgruppen repräsentieren. Wenn man vorher alles
Unerwünschte eliminiert, was für einen Wahlsieg hat man dann
errungen? Und zu welchem Preis?
Wohin nun, Ruanda?
Es gab und gibt einige Einrichtungen, Organisationen und Projekte, die
relativ erfolgreich in Ruanda starteten, um eine Versöhnung und
Stabilisierung des Landes zu ermöglichen.
NURC (National
Unity and Reconciliation Commission) die Versöhnungskommission nahm
1999/2000 ihre Arbeit auf. Zum Beispiel wird im Itorero
Programm Jugend- und Erwachsenenbildung betrieben, so wie weitere
gemeinschaftliche Aktivitäten wie Tänze, Theater oder Sport. Alles zur Stärkung
der gemeinsamen nationalen Identität und des Friedens.
Darüber hinaus leitet und dokumentiert NURC die Versöhnungsvorgänge,
will Vermittler für Konfliktparteien sein und durch weitere
Beratungen und Informationsveranstaltungen helfen.8
Kritiker sagen, NURC
stünde der Regierung nahe und würde als Instrument des Präsidenten
missbraucht werden (siehe 7).
Die Gacacas,
kommunale Gerichte, die bei der Verurteilung der Genozidverbrecher
mithalfen, waren von 2002 bis 2012 in ganz Ruanda tätig. Dabei
konnten die regionalen Gerichte mit Hilfe von Laienrichtern die
Angeklagten verurteilen; ein bis zwei Millionen Menschen
sollen angeblich diese Verfahren durchlaufen haben. Schließlich war
das Gerichtssystem nach dem Völkermord kollabiert und überfordert.9
Kritik am Gacaca-System gibt es hauptsächlich von der internationalen
Gemeinschaft, die das Verfahren als unzureichend bezeichnet und ihm
mangelnde Transparenz und Missbrauch vorwirft. (siehe 7 9 10)
Aufgrund von überfüllten Gefängnissen gibt es regelmäßige
Massenentlassungen von Verurteilten und Verdächtigen. Täter und
Opfer leben so oft wieder Tür an Tür in ihren Dörfern.11 12
Die RDRC (Rwanda
Demobilization and Reintegration Commission) entwaffnete und
demobilisierte von 2002 bis 2008 über 29.000 ruandische Soldaten,
Milizenmitglieder und Kindersoldaten und unterstützte sie bei der
Reintegration in die Zivilgesellschaft (von 1997 bis 2000 gab es
bereits eine erste Phase).13
Ruanda und Kongo
1996 marschiert die ruandische Armee in den Kongo ein, der erste Kongokrieg beginnt.
(Gefolgt von einem zweiten 1998) Begründung waren unter anderem die Aktivitäten
radikaler Hutu-Milizen und ehemaliger Genozid-Beteiligter (Interahamwe und
Impuzamugambi genannt) und erneuter Bildung der Milizen-Armee, die
von dort aus Angriffe gegen Ruanda und auch gegen Teile der
kongolesischen Bevölkerung planten und starteten. Auch die innenpolitische instabile Lage des Kongo trug zur Eskalation bei.
Bis heute sind
mögliche Kriegsverbrechen an Hutu-Flüchtlingen im Kongo
mit ruandischer Armeebeteiligung oder mit ihrer
Unterstützung ein Tabuthema; Äußerungen darüber können strafbar sein. Auch die immer noch
aktiven Hutu-Milizen (jetzt unter dem Namen FDLR (Forces Démocratique
pour la Libération du Rwanda)) und weitere radikale Gruppen
im Kongo-Ruanda-Grenzgebiet, stellen ein Problem für die gesamte
Region dar. 14 15
Ruanda nach 2010?
Ruanda ist immer noch abhängig von Hilfsgeldern. Die ODA (Official
Development Assistance) stellte 2012 44,2 Prozent des nationalen
Budgets. Über 40 % der jungen Bevölkerung ist arbeitslos. Besonders
in ländlichen Regionen lässt sich kaum Arbeit finden. 5 16
17
Im Sozialsystem gibt es Verbesserungen, kostenlose (Grund-)Schulbildung,
Zugang zu Krankenhäusern und Stärkung der Infrastruktur. Auch in
Sachen Umweltschutz hat sich die Regierung zumindest einiges
vorgenommen. Zu den Programmen: Link18
Auch wenn Präsident Paul Kagame zur nächsten Wahl 2017 nicht mehr
antreten darf, die Machtbefugnisse des Präsidenten sind für eine
Demokratie zu weitreichend. Er bestimmt unter anderem den
Premierminister, Mitglieder des Kabinetts, Armeeführungskräfte und
die obersten Richter (siehe 5). Viele sehen darin aber die Stärke
des Staates, der nur so ethnische Spannungen zurückdrängen oder im
Zaum halten kann und mit starker Hand
das Land seit 14 Jahren stabil halte.
Die Armutsbekämpfung wird bei der Entwicklung des Landes eine tragende
Rolle spielen. Auch die Differenzen innerhalb der Regierung und die
Spannungen zum traumatisierten Nachbarn Kongo werden entscheidend
sein. Ob die radikalen Milizen in den Grenzgebieten verdrängt oder
gar demobilisiert und entwaffnet werden können, bleibt fraglich.
Wenn der autoritäre Führungsstil der Machtelite eventuell reduziert
wird, sich eine relevante Opposition bilden kann, wenn sich in den Gemeinden
soziale Netzwerke, Organisationen und Vereine gründen, die ein
gemeinschaftliches Leben vorantreiben, wenn eine kritische Presse
etabliert wird, dann kann das vielleicht etwas werden mit einem
stabilen Ruanda für alle Beteiligten. Ruandas Bevölkerung bleibt traumatisiert und gespalten,
auch nach 20 Jahren. Das wird noch eine lange Zeit dauern, bis ein
Vertrauen in Nachbarn, wenn überhaupt, hergestellt werden kann.
Die junge Bevölkerung, die den Genozid nicht miterlebt hat, dessen Auswirkungen und Folgen aber auch in ihrem Leben sichtbar sind, bleibt die
Hoffnung des Landes.
Linkliste
1http://www.dw.de/ruanda-trauert-um-v%C3%B6lkermordopfer/a-17548060
2href="http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ruanda_node.html
3http://www.un.org/en/preventgenocide/rwanda/education/rwandagenocide.shtml
4http://csis.org/files/publication/110623_Cooke_Rwanda_Web.pdf
5http://www.bti-project.org/fileadmin/Inhalte/reports/2014/pdf/BTI%202014%20Rwanda.pdf
6http://www.paulkagame.com/biography.php
7http://www2.gtz.de/dokumente/bib/04-5480.pdf
8http://www.nurc.gov.rw/index.php?id=69
9http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-18490348
10http://www.hrw.org/de/news/2011/05/31/ruanda-gacaca-gerichte-hinterlassen-zwiesp-ltiges-erbe
11http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-14093322
12http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/ndr/2014/ruanda-104.html
13http://www.mdrp.org/PDFs/MDRP_RWA_FS_1108.pdf
14http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ruanda-voelkermord-mit-ansage-12882581.html
15http://www.ohchr.org/Documents/Countries/ZR/DRC_MAPPING_REPORT_FINAL_EN.pdf
16http://www.die-gdi.de/uploads/media/European-Report-on-Development_2013.pdf
17http://data.worldbank.org/country/rwanda
18http://www.unrwanda.org/undp/livelihood.htm
1http://www.dw.de/ruanda-trauert-um-v%C3%B6lkermordopfer/a-17548060
2href="http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ruanda_node.html
3http://www.un.org/en/preventgenocide/rwanda/education/rwandagenocide.shtml
4http://csis.org/files/publication/110623_Cooke_Rwanda_Web.pdf
5http://www.bti-project.org/fileadmin/Inhalte/reports/2014/pdf/BTI%202014%20Rwanda.pdf
6http://www.paulkagame.com/biography.php
7http://www2.gtz.de/dokumente/bib/04-5480.pdf
8http://www.nurc.gov.rw/index.php?id=69
9http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-18490348
10http://www.hrw.org/de/news/2011/05/31/ruanda-gacaca-gerichte-hinterlassen-zwiesp-ltiges-erbe
11http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-14093322
12http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/ndr/2014/ruanda-104.html
13http://www.mdrp.org/PDFs/MDRP_RWA_FS_1108.pdf
14http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ruanda-voelkermord-mit-ansage-12882581.html
15http://www.ohchr.org/Documents/Countries/ZR/DRC_MAPPING_REPORT_FINAL_EN.pdf
16http://www.die-gdi.de/uploads/media/European-Report-on-Development_2013.pdf
17http://data.worldbank.org/country/rwanda
18http://www.unrwanda.org/undp/livelihood.htm
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