Donnerstag, 20. März 2014

Syrien - Wege aus dem Krieg?



Syrien - Wege aus dem Krieg?

Über drei Jahre Bürgerkrieg in Syrien. Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen spricht von über 2.5 Millionen Syrern, die aus ihrer Heimat geflohen sind, 4.5 bis 6.5 Millionen Vertriebene, die im eigenen Land dringend Hilfe benötigen. Über 140.000 Menschen sind bisher ums Leben gekommen. Die Zahlen schwanken, denn genaue Informationen sind kaum zu überprüfen.1 2

Es ist eine humanitäre Katastrophe.
Die Bevölkerung beträgt laut Auswärtigem Amt 22 Millionen Menschen, mit steigender Tendenz. Vor und auch nach Ausbruch des Krieges nimmt Syrien Tausende Flüchtlinge, zum großen Teil aus dem Irak und Afghanistan, auf.3
Dabei galt Syrien lange Zeit dank des repressiven Regimes als „stabil“. Andere Parteien gibt es nicht wirklich und wenn, dann nur mit Duldung der regierenden Baath-Partei, Demonstrationen sind verboten, ein säkulares Staats-System gibt den Anschein von der Freiheit aller Bürger, die Realität sieht anders aus.4
 
Wie hält sich Bashar al-Assad mit seiner Baath-Partei an der Macht?

Nach der Unabhängigkeit von Frankreich 1946 gab es ein langes Hin und Her des Landes, bis schließlich 1963 die Baath-Partei die Macht übernimmt. Sie ist geprägt vom Panarabismus (Vereinigung aller arabischer Staaten zu einem großen Ganzen. Das ist heute aber nicht mehr wirklich relevant) und von der Beseitigung aller Kolonialspuren und Fremdherrschaft.5
Mit neuer Verfassung von 1973 gestaltet Hafiz al-Assad den Staat nach Belieben um, Armee und wichtige Positionen werden mit Parteimitgliedern und Nahestehenden besetzt, Gewerkschaften, Vereine, alles ist vom Baath-Parteibuch durchsetzt. Das war bis zum Ausbruch des Krieges überwiegend der Fall.6
Alle drei Staatsgewalten liegen in der Hand des Präsidenten, ein starker Sicherheitsdienst stärkt das Regime von innen. 7
Deshalb konnte zum Beispiel das Mindestalter des Präsidenten nach dem Tod von Hafiz al-Assad 2000 von 40 Jahren heruntergesetzt werden, da sein Sohn Bashar zu dem Zeitpunkt erst 34 war.

Über Jahrzehnte hat sich die Baath-Partei also in vielen Schichten des Systems verankert. Dabei setzt sie auf eine quasi säkuläre Ordnung, auch wenn das islamische Gesetz die Hauptquelle der Gesetzgebung ist und die Verfassung einen muslimischen, syrischen Präsidenten vorschreibt (siehe 7).
Bashar al-Assad ist wie sein Vater Alawit und viele der wichtigsten Positionen sind mit Alawiten besetzt. Aber wichtiger als die Religionszugehörigkeit ist zunächst die Treue der al-Assad-Familie und Regime-Befürwortern, die Vetternwirtschaft und die Vorzüge, wenn man zum Regime hält.

Wer wurde und wer wird unterdrückt?

Unterdrückt wird die Mehrheit der Bevölkerung. Wer nicht zum Regime hält, kommt ins Gefängnis, wer demonstriert, kommt in Gefängnis, kritische Medienstimmen gibt es nicht oder wenn, nicht lange.
Unvergessen bleibt das Massaker von Hama, 1982. Tausende Menschen (Die genaue Anzahl bleibt allerdings unklar) werden vom Regime brutal massakriert. Nach einem bewaffneten Aufstand, der hauptsächlich von der Muslimbrüderschaft in Syrien mobilisiert wird, löscht Hafiz al-Assad diese mit dem Massaker quasi aus, Kollateralschaden inklusive. Al-Assad wollte auf keinen Fall einen islamistischen Staat, der Kampf gegen den islamistischen Terror verband ihn mit westlichen Ländern. Allerdings rechtfertigt Terrorismus (abgesehen davon, dass nicht alle Muslimbrüder islamistische Terroristen sind und in Hama nicht nur Muslimbrüder getötet wurden) meiner Meinung nach kein Massaker.8
Unvergessen bleibt auch der Einsatz chemischer Waffen gegen die Bevölkerung im August 2013, der Bashar al-Assad zugeschrieben wird. Die Chemiewaffen des Regimes sollen bis Mitte 2014 vernichtet werden.9

EDIT: Die AG Friedensforschung berichtet von erheblichen Zweifeln daran, dass der benannte Giftgasangriff von Seiten der Regierung ausgegangen ist. Hier nachzulesen: Link zur AG-Friedensforschung

Wer brutal gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, hat eigentlich sämtliche Herrschaftslegitimation verloren. Trotzdem regiert die al-Assad-Familie mit ihren Partnern ununterbrochen seit über 40 Jahren.

2011 gehen die Menschen im Zuge des Arabischen Frühlings auf die Straße, die sich nicht mehr einschränken lassen wollen, die für ein freies Syrien einstehen. Die Schere zwischen Arm und Reich wird auch in Syrien immer größer, die Bevölkerung profitiert nicht von den wirtschaftlichen profitablen Geschäften des Regimes und der Regime-Befürworter. Darüber hinaus bleiben einige Regionen Syriens wirtschaftlich benachteiligt, oft besteht dort die Bevölkerung aus Sunniten und Schiiten. 10 11

Religionskrieg?

Es wäre zu einfach, würde man den Bürgerkrieg heute auf „Alawiten gegen Sunniten und Schiiten“ reduzieren. Sunnitische Muslime stellen die Mehrheit der Bevölkerung in Syrien, Alawiten sind die größte Minderheit, neben Christen und wenigen Schiiten.
Die komplexe Realität der unterschiedlichen Ausrichtungen des Islams in Syrien und in anderen arabischen Ländern füllt ganze Bibliotheken. Konflikte unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen sind deshalb auch in Syrien nur teilweise auf unterschiedliche Religionsausrichtungen zurückzuführen. Die Alawiten nehmen eine Sonderstellung am Rande der Schiiten ein, sie sind vom Schiitentum im Prinzip abgespalten und werden sowohl von vielen Sunniten als auch von vielen Schiiten als Häretiker, Ketzer betrachtet. Trotzdem blieb die Situation aller Religionen in Syrien zunächst relativ stabil.
Die Vormachtstellung einiger Alawiten der al-Assad-Familie in Syrien ist historisch bedingt eher auf Vetternwirtschaft, Korruption und soziale Systeme, als auf religiöse Ideologie zurück zu führen und nicht alle Alawiten profitieren von der Religionszugehörigkeit des Präsidenten. Darüber hinaus wollte die Baath-Partei keinen religiösen Staat, hatte bei ihrer Gründung eher sozialistische Ideologien, auch wenn in vielen arabischen Ländern die Verbindung von Religion, in diesem Fall dem Islam, und Politik deutlich enger ist, als in anderen Teilen der Welt. 12 10
Es geht wie in vielen Kriegen um Macht. In diesem Fall um die Machterhaltung des al-Assad-Regimes. Eine politische Lösung käme dem Regime nicht entgegen, denn es würde zum einen aufgrund der ethnischen und religiösen Realität des Landes in jedem Fall die alleinige Kontrolle über den Staat verlieren. Zum anderen könnten die Regime-Beteiligten nach einem Sturz Vergeltungen oder mindestens rechtliche Konsequenzen fürchten. Und auch die internen und nach außen dringenden Konflikte der angrenzenden Länder wie Irak, Libanon und dem Iran üben nachhaltigen Einfluss auf Syrien aus.

Aus wem besteht die bewaffnete Opposition?

Die Freie Syrische Armee (FSA) gründet sich 2011 im türkischen Exil aus Deserteuren der Syrischen Armee, Zivilisten und weiteren Aktivisten.
Zunächst als Schutz für Demonstrationen und Bevölkerung gedacht, entwickelt sich die FSA zu einer „richtigen“ Armee mit Offensiv-Angriffen auf militärische Ziele und Verteidigung wichtiger Stützpunkte (BPB 10).
Aber die FSA besitzt keine klare Hierarchie, besteht aus vielen unterschiedlichen Gruppen, so eben auch aus einer Anzahl von islamistischen und radikalen Rebellen, von denen sich einige mittlerweile abgespalten haben und eigenständig agieren. Aus der geringen Kontrolle ergeben sich schwerwiegende Angriffe einiger Gruppen ohne Konsens mit der FSA, Menschenrechte werden verletzt, die Opposition und Bevölkerung gespalten. Das macht Verhandlungen umso schwieriger. Wer ist gut, wer ist böse, wer verursacht Leid, wem kann man trauen? Mittlerweile ein undurchsichtiges Unterfangen.13

Auch wenn die Rebellengruppen und die FSA dem Regime militärisch (noch) unterlegen sind, durch anhaltende Kriegsführung und Waffennachschub von überall her für alle beteiligten Parteien, gelingt es beiden Armeen und Rebellengruppen seit über drei Jahren den Krieg am Leben zu halten.
Die unter anderem von der EU unterstützte politische Opposition ist wirkungslos, im Exil und bisher nicht in der Lage, sich langfristig zu organisieren und zu strukturieren.

Wer übt Einfluss aus und wer liefert militärische Unterstützung?

Russland:        liefert al-Assad Waffen und hält auch offiziell zum Regime, blockiert Entscheidungen im Weltsicherheitsrat, die über humanitäre Einsätze hinausgehen.14

China:                blockiert Entscheidungen bezüglich Syrien im Weltsicherheitsrat.15

USA, UK,
einige
EU-Länder        liefern der Freien Syrischen Armee Schutzwesten und Satellitentelefone, etc. Die USA sucht nach Wegen die Armee legal zu bewaffnen. USA und UK legen nach internen Konflikten der FSA aber Lieferungen auf Eis.16
                          

Türkei:         In der Türkei befand sich zunächst der Hauptstützpunkt der FSA, medizinische und grundlegende Versorgungen wurden und werden bereit gestellt.
                           Die Türkei bestreitet Waffenlieferungen, trotzdem sind wohl Waffen aus der Türkei in die Hände der FSA geraten. 17 18

Saudi-Arabien:   liefert Waffen, Ausrüstung, Personal und Geld an Gruppen der FSA. Saudi-Arabiens Einsatz kann man als eine Art Stellvertreterkrieg mit dem verfeindeten Iran deuten.19

Iran:                   Syrien und Iran lehnen den Staat Israel ab (Syrien befindet sich darüber hinaus mit Israel im erneuten Grenzkonflikt wegen der Golan-Höhen), liefern Waffen an die Hisbollah, die sich hauptsächlich im immer noch von Syrien kontrollierten Libanon aus organisiert. Offiziell liefert der Iran keine Waffen an das al-Assad-Regime, Medien berichten jedoch über geheime Lieferungen.20

Das sind jetzt nur auszugsweise ein paar Details zu den internationalen Verknüpfungen und Verwicklungen im Syrienkrieg. Es spielen so viele historische und geopolitische Gründe eine Rolle in dem Krieg, die ich nicht alle auflisten kann.
Russlands Verbindung zu Syrien gehen zum Beispiel bis in die 70er zurück, die Sowjetunion unterstützte dort bereits das Hafiz al-Assad-Regime mit Waffen und dem Wiederaufbau des Militärs.21
Vielleicht schreibe ich mal einen Beitrag zu den unterschiedlichen Einflüssen und Verbindungen der angrenzenden Länder Syriens.

Wege aus dem Krieg?

Ich betone noch einmal, der Syrienkrieg ist eine humanitäre Katastrophe. Das Regime bombardiert flächendeckend Aufständische oder Regionen mit FSA-Gruppen. Die Oppositions-Armee tötet ebenfalls, ist zerstritten, bekämpft sich zum Teil selbst. Die Bevölkerung außerhalb der von der Regierung kontrollierten Städte und Regionen hat keinen Zugang zu Lebensmitteln, ärztlicher Versorgung, Verkehrsmitteln, Schulen, Verwaltung und vielem mehr.

Muriel Asseburg und Heiko Wimmen von der Stiftung für Wirtschaft und Politik halten eine militärische Lösung des Krieges momentan für unwahrscheinlich, da die Kriegsparteien weiterhin militärisch von anderen Staaten unterstützt werden.22
Sie stellen vier Zukunfts-Szenarien vor:

1.      Verhandelter Übergang von Regime zu Opposition (unwahrscheinlich)
2.      Fortdauer der Kampfhandlungen mit Fragmentierung des Landes (wahrscheinlich)
3.   Fall des Regimes und ethno-konfessioneller Bürgerkrieg wenn die Rebellen das Regime stürzen könnten. Folge: Vergeltungsakte, Kämpfe zwischen Rebellengruppen, mögliche ethnische Säuberungen (relativ unwahrscheinlich)
4.     Fall des Regimes und politischer Übergang. Das beinhaltet einen demokratischen Prozess der politischen Akteure nach dem Sturz des Regimes, der sich gegen Gewaltakteure im Land durchsetzen müsste (mit der laufenden Fortführung des Krieges immer unwahrscheinlicher) (ebd. S. 242-244)

Ein wichtiger Punkt ihrer Analyse ist der Stopp der Waffenlieferungen an beide Seiten und eine folgende Waffenruhe und Entwaffnung. Auch die Welthungerhilfe appelliert an die internationale Gemeinschaft, den Krieg durch den massiven Nachschub von Waffen nicht weiter eskalieren zu lassen und statt Waffen humanitäre und strukturelle Hilfe zu liefern.23
Die Exil-Opposition, die Syrische Nationale Koalition, die sich 2012 in Doha, Katar zusammenschloss, muss gestärkt werden und irgendwie ihre internen Differenzen politisch lösen.
Wie sonst will man das Regime stürzen oder einen Übergang schaffen und danach für einen demokratischen Neuanfang sorgen, wenn dafür noch keine Grundlage existiert?

Wir haben in Syrien schon unendlich viel Zeit verloren. Bevor das Land komplett zerfällt, sollten die internationalen Bemühungen nicht nur leere Worte und Papiere bleiben.
Die vielen leeren Worthülsen der internationalen Gemeinschaft der Länder, die sich bei wichtigen Entscheidungen gegenseitig blockieren, gehen mir auf den Senkel. Mir ist echt egal, welche Interessen welches Land an einem Sieg Assads oder einem Triumph der Opposition oder der islamistischen Gruppen hat! Wichtigster Faktor sollten die Menschen sein, die seit über drei Jahren unter dem Krieg leiden. Im Krieg gibt es keine Gewinner und auch nach einem Ende der Kampfhandlungen werden das Land und die Bevölkerung den friedlichen und nachhaltigen Aufbau nicht ohne Unterstützung bewältigen können. Also, her mit den nachhaltigen Lösungen und weg mit den Waffen!!!

Linkliste

1http://www.unhcr.de/presse/nachrichten/artikel/9316aa66ff0877110e3741888522975a/traurige-bilanz-nach-3-jahren-syrien-krise.html
2http://www.unhcr.org/528a0a2d15.html
3http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Syrien_node.html
4Beck, Martin (2002): „Pariastaat“ Syrien: Zwischen externem Druck und internem Beharrungsvermögen; Focus Nahost Nr. 7, hg. v. GIGA Hamburg.
5http://www.bpb.de/apuz/155121/staatliche-ordnung-und-politische-identitaeten-in-syrien?p=0
6http://www.bpb.de/apuz/155126/das-politisch-ideologische-system-syriens-und-dessen-zerfall?p=all
7http://bti2003.bertelsmann-transformation-index.de/135.0.html
8http://www.deutschlandfunk.de/die-toten-von-hama.724.de.html?dram:article_id=100452
9http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-CF6E4FF96FF9%7D/a_hrc_res_24_22.pdf
10https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2013-08_online.pdf
11http://www.bpb.de/mediathek/178828/syrien-die-urspruenge-der-krise
12http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-das-verhaeltnis-zwischen-alawiten-und-dem-assad-regime-a-922776.html
13http://www.dw.de/al-baschir-soll-freie-syrische-armee-st%C3%A4rken/a-17443848
14http://www.sueddeutsche.de/politik/ruestungsindustrie-deutsche-waffen-neue-maerkte-1.1913988
15http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/un-sicherheitsrat-russland-und-china-stimmen-fuer-zahnlose-syrien-resolution-12816365.html
16https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-aufstaendische100.html
17http://www.tagesspiegel.de/politik/auf-dem-vormarsch/9210760.html
18http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/die-tuerkei-nach-den-anschlaegen-waffen-fuer-syrien-12181368-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
19http://www.dw.de/saudi-arabiens-machtkampf-in-syrien/a-17383634
20http://www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienstbericht-ueber-assads-verbuendete-iran-soll-taeglich-tonnen-von-waffen-nach-syrien-liefern-1.1472983
21http://monde-arabe.arte.tv/de/syrien-welche-rolle-spielt-russland/
22http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/fachpublikationen/Friedensgutachten_BeitragAsseburg.pdf
23http://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/user_upload/Ueber_uns/Vereinsprofil/Netzwerke/BEH_Syrien-Appell.pdf

2 Kommentare:

  1. zur chemiewaffenfrage:
    http://ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien1/chemie2.html

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