Donnerstag, 6. Februar 2014

Was ist los in Mali?



Was ist los in Mali?
Mali galt viele Jahre lang als Vorzeigedemokratie. Nach einer Jahrzehnte andauernden Militärdiktatur unter Moussa Traoré gab es nach 1990 Mehrparteienwahlen, die als frei und fair bewertet wurden.1
Wie ich bereits im Sambia-Blogeintrag beschrieb, ist diese Wandlung nicht einfach, kein Garant für ein stabiles System. Aber es ist ein wichtiger Anfang die Lebenssituation der Menschen im Land zu verbessern.

Was ist also passiert? Warum will die Bundesregierung Soldaten nach Mali schicken?

Mali liegt im Westen Afrikas angrenzend an Mauretanien, Algerien und Niger. 

Der größte Teil des Landes ist Wüstengebiet, ungefähr 14 Millionen Menschen leben hier. Mali ist über 1.240.000 Quadratkilometer groß, Deutschland würde also knapp dreieinhalb Mal hinein passen. Bis zur Unabhängigkeit 1960 war Mali unter französischer Kolonialherrschaft.
Hier beginnen bereits einige der Probleme, die sich bis in die heutige malische Politik auswirken. Anders als zum Beispiel in Sambia spielen ethnische Unterschiede in der malischen Gesellschaft eine sehr große Rolle.
Die französische Kolonialpolitik beinhaltete unter anderem die sprachliche und kulturelle Assimilation. Kulturelle Unterschiede, 66 Sprachen, ungefähr 30 ethnische Gruppen, all dies wurde unter der französischen Herrschaft irrelevant.2 3
Wichtig waren nur Französisch als Amtssprache (bis heute) und das französische System.4
Malis Staatsstruktur bezieht sich auf das französische Vorbild: Die Staatsform ist eine Präsidialdemokratie, die Verwaltung ist zentralistisch aufgebaut.
In der Kolonie Französisch-Sudan zerschnitt die Grenzziehung einige Siedlungsstrukturen, wie zum Beispiel der Songhay und der Bobo. 5
Hauptstadt wurde Bamako, das im südlichen Teil des Landes liegt. Der Norden blieb zu einem großen Teil unberührt, schließlich war dort das unzugängliche Wüstengebiet, was allerdings 60% des Landes einnimmt.
Das Gebiet beherbergt viele Nomaden, unter ihnen die Tuareg.
Unter der Kolonialherrschaft und der Militärdiktatur wurde der Norden unterdrückt und/oder ignoriert, vernachlässigt. Das ist allerdings keine Rechtfertigung für die Gewalttaten, die aus der Tuareg-Gruppe heraus verübt worden sind. Es zeigt, dass der Norden von Anfang an mit innerstaatlichen Problemen und Auseinandersetzungen zu kämpfen hatte, ohne mögliche Lösungsansätze. 6 7

Es gab bereits 1962 und 1990 gewalttätige Konflikte in Zusammenhang mit den Tuareg im Norden des Landes. 1962 ging es hauptsächlich um hohe Steuern für Viehbesitz und die Integrierung der Nomaden in ein korruptes Staatssystem unter der Militärherrschaft. Die Folge war die Flucht vieler Tuareg nach Algerien, Burkina Faso und Libyen.8
Beim gewalttätigen Konflikt 1990 hatten viele Akteure ihre Hände im Spiel: Gadaffi wollte unter anderem einen Tuareg-Staat mitschaffen und Algerien einige der malischen Tuareg-Immigranten loswerden. (Abgesehen davon, dass sowohl in Algerien, als auch in Niger und Libyen Tuareg Nomaden ihre Heimat finden.) 1995 kam es zum Ende der Gewalt und viele Tuareg-Kämpfer wurden in die malische Armee integriert, ein Teil des Nordens selbst verwaltet. In den 2000ern gab es immer wieder auftretende Auseinandersetzungen mit Tuareg-Rebellen in Mali.9
Hierzu muss man wissen, dass auch die Tuareg keine homogene Gruppe bilden und unterschiedliche Strukturen besitzen. Nicht jeder Tuareg ist ein Rebell, der sich gegen die malische Regierung wendet. Es wird zum Teil davon gesprochen, dass im Laufe der Konflikte radikale Gruppen die Tuareg unterwanderten. 10

Der Azawad-Staat

Der Bürgerkrieg in Libyen hat Spuren hinterlassen, auch in Mali. Viele Tuareg und andere Gruppen, die während der früheren Konflikte aus Mali auswanderten, kehrten nach dem Zerfall der Diktatur in Libyen zurück.
Im Januar 2012 putscht die MNLA (Mouvement national pour la libération de l’Azawad = Nationale Bewegung zur Befreiung Azawads) zusammen mit Ansar Dine, AQIM (Al-Qaida in the Islamic Maghreb) und MUJAO (Mouvement pour l’unicité et le jihad en Afrique de l’Ouest = Bewegung zur Einigung und Jihad in Ostafrika) die nördlichen Regierungsbezirke Malis und übernimmt dort gewaltsam die Kontrolle.11
Die MNLA soll hauptsächlich aus Tuareg-Rebellen bestehen, denen sich Deserteure aus der libyschen und malischen Armee anschlossen.
Ansar Dine, AQIM und MUJAO werden als radikal-islamistisch eingestuft, die unter anderem die Sharia einführen wollen. Ansar Dine sollen malische Tuareg-Wurzeln haben, AQIM stammt ursprünglich aus Algerien und MUJAO fühlt sich als Teil von Al-Qaeda.12 13
Im April 2012 deklarieren die Tuareg der MNLA den unabhängigen (Nord-)Staat Azawad von Mali, inklusive der Regionen Timbuktu, Kidal und Gao.8

Hier gibt es viele unterschiedliche Konfliktparteien. Die Tuareg sind bereits seit der Gründung der Republik Mali und auch während der Kolonialzeit in Konflikte mit der jeweiligen Staatsgewalt verwickelt, gelten aber als säkular, haben also keine religiösen, sondern vielmehr ethnisch und territorial motivierte Gründe. Das führt zu Auseinandersetzungen mit den radikal islamistischen Kämpfern der anderen Rebellen-Gruppen. (Zur Information: Fast 90 Prozent der Bevölkerung Malis sind Muslime, keine radikal islamistischen Terroristen, es geht auch ohne Gewalt ;))
Die radikalen Gruppen unterstützen die MNLA-Tuareg in ihrer Staatsgründung, rufen aber zusätzlich das Sharia Gesetz im neuen Staat aus. Schwere Menschenrechtsverletzungen folgen, so wie die Zerstörung heiliger Stätten in Timbuktu.
Die UN spricht davon, dass die MNLA nach der Unabhängigkeitserklärung von den radikalen Islamisten zum großen Teil aus den nördlichen Städten und Regionen vertrieben wurde.

Die malische Regierung ruft nach Beginn der gewalttätigen Konflikte nach militärischer Unterstützung der Weltgemeinschaft, da die malische Armee den Terroristen und Besetzern nicht viel entgegensetzen kann. Dies wird auch als Legitimation für den ersten militärischen Einsatz Frankreichs „Operation Serval“ im Januar 2013 gesehen.14
Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete zuvor (Dezember 2012) die Resolution 2085, die unter anderem die Unterstützung Malis durch militärische Einsätze vorschlägt (AFISMA).
Dabei sollten die Einsätze „afrikanisch geführt“ werden, nicht primär von europäischen oder amerikanischen Streitkräften, sondern unter der ECOWAS (Economic Community of West African States). Frankreich hatte vehement auf eine militärische Intervention in den Konflikt bestanden.15 16 17
Malis Regierung ruft Frankreich im Januar 2013 zur Hilfe, als die Rebellen immer weiter südlich vordringen, bevor die AFISMA fertig aufgestellt ist. Frankreich greift rasch militärisch ein (Operation Serval), die AFISMA-Planung wird daraufhin beschleunigt.

Im Juni 2013 kommt es zum Waffenstillstand und einem Deal zwischen den MNLA-Tuareg-Rebellen und Vermittlern der EU und der UN. Mit den radikalen Islamisten wird nicht verhandelt, ein Versuch mit den malischen Ansar Dine scheitert.18
Die radikal islamistischen Kämpfer sind weitgehend zurück gedrängt worden, die malische Regierung ist bemüht, Recht und Ordnung wiederherzustellen und den Norden des Landes zu stabilisieren.

Zusammengefasst:

Der Konflikt in Mali ist nicht neu, aber dank der politischen Instabilität der Nachbarn wie zum Beispiel Libyen, oder Mauretanien und aufkeimender radikal islamistischer Gewalt verschiedener Gruppen im Land und in angrenzenden Ländern, bleibt die Sicherheitslage des Landes und der Sahel-Zone angespannt bis kritisch.
Das UN Flüchtlingswerk spricht von über 180.000 Flüchtlingen, die aus Mali geflohen sind und von über 300.000 Menschen, die im Süden des Landes Zuflucht vor Gewalt, Hunger und der instabilen Lage des Nordens suchen.19

Mehrere Parteien sind in Mali am Konflikt beteiligt:

·        Die Tuareg-MNLA, Tuareg-Nomaden, die den Norden Malis als eigenen Azawad-Staat für sich beanspruchen wollen
·        Die radikal islamistischen Gruppen: Ansar Dine, AQIM und MUJAO, die noch nicht aufgegeben haben
·        Desertierte Soldaten der Malischen Armee
·        Die Malische Regierung (zur Zeit unter Ibrahim Boubacar Keita, in freier Wahl 2013 gewählt)
·        Dazu kommt die Französische Armee mit momentan 3000 stationierten Soldaten, neben der mit insgesamt rund 6000 Soldaten starken militärischen Präsenz des von der UN legitimierten Einsatzes MINUSMA, dem Nachfolger von AFISMA.20 21

Der aktuelle Konflikt in Mali ist also keineswegs rein radikal islamistisch geprägt. Wer sich mit der Geschichte des Landes näher auseinandersetzt, der sieht, wie komplex die Staatenbildung und Gesellschaft Malis sind. Im Mittelalter reichte das Mali Imperium von weit über Timbuktu bis hin zum Atlantik. In Djenné und Timbuktu wurden zahlreiche Moscheen, Friedhöfe und heilige Stätten zum Weltkulturerbe ernannt.
Mittlerweile gibt es über 100 Parteien in Mali, etliche NGOs und dabei auch zahlreiche Differenzen, die sich nicht innerhalb von über 50 Jahren nach der Unabhängigkeit in Luft auflösen.
Klar ist, in der Sahelzone entlang der Sahara gibt es nicht nur in Mali Probleme mit radikal islamistischen Gruppen, die sich immer wieder in gewalttätige Konflikte einmischen, sie forcieren oder Gewalt schüren.
Klar ist aber auch, dass innerstaatliche Konflikte auf mehr als auf Terror radikaler Islamisten zurück zu führen sind. Zum Beispiel auf ethnisch motivierte Benachteiligung, Elitenbildung, Korruption, Grenzkonflikte, fehlende Infrastruktur oder Sozialsysteme, Armut und Hungersnöte, usw.

Warum ein Deutscher Einsatz in Mali?

Schon während der ersten Intervention hat Deutschland die Streitkräfte und den Wiederaufbau Malis unterstützt. Die Mandate laufen bis heute weiter.
Nach eigenen Angaben beteiligte sich die Bundeswehr bisher mit bis zu 180 Soldaten an der europäischen Ausbildungsmission des malischen Militärs und mit Lufttransport und Luftbetankung an der Stabilisierungsmission MINUSMA der Vereinten Nationen. 22 23

Am 05.02.2014 beschloss das Kabinett der Bundesregierung die Präsenz in Mali aufzustocken und bis zu 250 Soldaten zur Ausbildung der Armee ins Land zu schicken. Der Bundestag muss bis zum 21. Februar noch zustimmen. 24
Deutschland sieht sich also in der Pflicht, mit Bundeswehreinsätzen unter anderem für die Stabilität Malis zu sorgen. Meist wird als Grund neben der Völkerrechts-Legitimation der Schutz deutscher Staatsbürger genannt, dadurch, dass Terroristen in einem unsicheren Land keinen Nährboden finden, wenn der Einsatz Erfolg hat.
Frankreich wollte ursprünglich seine Soldatenanzahl auf 1000 begrenzen, da auch in einem anderen Konfliktherd Zentralafrikas, der Zentralafrikanischen Republik, Bedarf an weiteren Soldaten besteht.25

Wie wir sehen, ist der Konflikt im Land nicht einfach zu bewältigen, das unwegsame nördliche Gebiet erinnert viele an Afghanistan. Ist ein Erfolg also mit Hilfe deutscher Kräfte überhaupt möglich?
Zentraler Punkt des UN legitimierten Einsatzes in Mali ist die Stabilisierung des Landes. Deutschland ist mit der Ausbildung der Armee bereits daran beteiligt, also scheint es konsequent, dort weiter zu machen.

Ich sehe einen langfristigen Einsatz auf uns zu kommen, denn der Konflikt um den Norden des Landes besteht bereits seit über 100 Jahren. Ohne mit den Tuareg zu verhandeln, die dafür allerdings ihre Kampfhandlungen einstellen müssten, gibt es keine längerfristige, friedliche Lösung. Die Situation der radikal islamistischen Gruppen, die in der gesamten Sahel-Zone ihr Verbreitungsgebiet haben und im Niger, in Libyen und anderen Staaten in der näheren Umgebung Malis wirken, wird sich auch nicht durch das ewige Zerschlagen der kurzfristig besetzten Gebiete und Städte lösen. Oder durch ein ständiges „Dagegenhalten“.

Deutschland in Mali? Mal schauen, wie es weitergeht!


Damit nicht alles so pessimistisch ist: Hier wieder ein frisches Lied aus Mali zur Feier des Landes:

Linkliste

1Rainer Tetzlaff und Cord Jakobeit - Das nachkoloniale Afrika Grundwissen Politik Band 35
2http://www.ethnologue.com/country/ML
3http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Mali_node.html
4Heine, Bernd und Mechthild Reh: Sprachpolitik in Afrika. Mit einem Anhang: Bibliographie zur Sprachpolitik und Sprachplanung in Afrika.Hamburg: Helmut Buske, 1982
5http://liportal.giz.de/mali/geschichte-staat/
6http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/onTEAM/preview/Ipw/Akuf/kriege/321ak_mali_print.htm
7http://www.heise.de/tp/artikel/38/38532/1.html
8http://www.ipinst.org/publication/policy-papers/detail/387-mali-and-the-sahel-sahara-from-crisis-management-to-sustainable-strategy.html
9http://www.aljazeera.com/indepth/features/2012/03/201232211614369240.html
10http://www.sid-berlin.de/files/SID-Band11_Gewaltt%C3%A4tige-Konflikte.pdf
11http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minusma/background.shtml
12http://www.state.gov/r/pa/prs/ps/2013/03/206493.htm
13http://www.state.gov/r/pa/prs/ps/2012/12/201660.htm
14http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/frankreich-militaerintervention-mali-terrorismus-vereinte-nationen-mandat/
15http://www.securitycouncilreport.org/un-documents/malisahel/
16http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-21009958
17http://www.dw.de/streit-um-mali-mission/a-16440986
18http://www.france24.com/en/20130618-mali-deal-tuareg-rebels-mnla-bamako-qaeda/
19http://www.unhcr.org/pages/49e484e66.html
20http://www.ouest-france.fr/mali-la-france-devrait-renforcer-sa-presence-militaire-1689646
21http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minusma/facts.shtml
22http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK9pPKUVL3UzLzixNSSqlS93MziYqCK1Dy93MScTCCRl5JYkqpfkO2oCACrGRqc/
23http://www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/einsatzbw/!ut/p/c4/04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK9pPKU1PjUzLzixJIqIDcxu6Q0NScHKpRaUpWql5uYk6mXmZeWr1-Q7agIANrtCHc!/
24 http://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-mandat-verlaengert100.html
25http://www.sueddeutsche.de/politik/mali-und-zentralafrikanische-republik-bundesregierung-bereitet-afrika-einsatz-vor-1.1865908

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen