Wer ist die Hamas? Geschichte und aktuelle Lage
Im Gazastreifen und in
Israel stehen mal wieder die Sirenen nicht still. Raketenangriffe aus
dem Gazastreifen, Vergeltungsschläge aus Israel. Die Option der
Zwei-Staaten-Lösung scheint wieder einmal in weiter Ferne. Doch wer
steckt hinter den Anschlägen und warum ist die Lösung des
Konfliktes so ungreifbar?
Ich werde versuchen,
einen groben Überblick zu geben, denn dieser Konflikt füllt bereits
seit Jahrzehnten ganze Bibliotheken ;(.
1. Entstehung
Die
Gründung der Hamas oder lang: arakat al-muqâwama
al-islâmîya, “Bewegung des islamischen
Widerstandes“ gründete sich 1987/88 als militärischer Zweig der
Muslimbrüderschaft in Palästina.
Die Bundeszentrale für
Politische Bildung schreibt, dass der Islam bei dem Kampf um die
Befreiung Palästinas bis dahin keine nennenswerte Rolle spielte.
Nicht nur deshalb distanzierte sich die PLO, die Palästinensische
Befreiungsfront, (Palestine Liberation Organisation) von der Hamas,
nach ersten Annäherungen. Die erste Intifada gilt als die
Geburtsstunde der radikalen Hamas. Der Widerstand der Palästinenser
gegen die Besetzung Israels schreckte die Weltgemeinschaft auf.
Steine, Molotow-Cocktails, Boykott israelischer Produkte auf der
einen Seite und massive Gegen- und Vergeltungsmaßnahmen der israelischen Regierung auf der anderen.
1988 rief die PLO den
Palästinensischen Staat aus, der einen großen Teil des
Westjordanlandes und den Gazastreifen mit einbezieht. Allerdings will
die PLO das gesamte Westjordanland und Ost-Jerusalem für sich
beanspruchen. Dies führt zu den immer wiederkehrenden bewaffneten
Auseinandersetzungen, besonders in kritischen und umstrittenen
Gebieten, in denen Israel zum Teil Siedlungsbau vorantreibt.
Deeskalationspolitik gibt es auf beiden Seiten nicht.
Die ersten
Selbstmordattentate der Hamas traten in den 90ern auf, um den
Friedensprozess zwischen der PLO und Israel zu unterbinden. Bis heute
erkennt die Hamas den Staat Israel nicht an und spricht von der Vernichtung.
1993 endete die Intifada
mit der Gründung der Autonomiebehörde, der ersten Regierung
Palästinas.
Exkurs Fatah
Hauptorganisation der PLO
war und ist die Fatah. Diese gründete sich bereits 58/59 als
bewaffnete Befreiungsorganisation zur Errichtung eines säkularen,
demokratischen Staates auf palästinensischem Gebiet. Die
Friedensbemühungen und die Erfolge aus den Oslo-Abkommen und
Friedensgesprächen werden immer wieder durch radikale Kräfte und
Vergeltungsschläge ruiniert.
Im Gegensatz zur Hamas
erkennt die PLO den Staat Israel an und hat dem Terrorismus
abgeschworen. Das waren zumindest die Bedingungen für den
Friedensprozess 1988. Heute ist es mit dem Frieden und der Waffenruhe nicht ganz so eindeutig, wie es auf dem Papier stehen mag.
Bei der zweiten Intifada
2000, die fünf Jahre anhalten sollte, beteiligten sich nicht nur die
Hamas, sondern viele weitere Fraktionen der PLO und radikale Kräfte
an den Gewaltakten. Korruptionsvorwürfe und Vetternwirtschaft
begünstigten den Anstieg radikaler Kräfte innerhalb der
Autonomiebehörde.
Ausführlicher Ablauf der
ersten Intifada:
Weitere Informationen zur
zweiten Intifada 2000 hier:
2. Ziele und Wirken der Hamas
Hauptziele der Hamas sind die
Vernichtung des Staates Israel und die Errichtung eines Staates für
Muslime in Palästina. In ihrer Charta lehnt die Hamas
Friedensbewegungen ebenso ab, wie eine Zwei-Staaten-Lösung.
Trotzdem nahm sie 2006
zum ersten Mal an den Wahlen in Palästina Teil und musste prompt die
Regierungsgeschäfte übernehmen. Das bedeutet also, dass die
politische Realität in Palästina immer komplizierter wurde,
schließlich distanzierte sich die Fatah bis in die jüngste Zeit von
den Anschlägen und Ansichten der Hamas. Eine gemeinsame Regierungsbildung ist provisorisch erst 2014 erfolgt (Ausgang ungewiss) und die innenpolitische Lage
ist zuvor bereits mehr als einmal gewalttätig eskaliert.
Einer der Ursprünge der
Hamas liegt vor der ersten Intifada. Ausgehend aus der
Muslimbrüderschaft sollte die Strömung, die bis dahin noch nicht militärisch auftrat, als Hilfsverein die nicht
vorhandene Infrastruktur im Gazastreifen unterstützen und den
Menschen helfen. Von Moscheen, Krankenhäusern, Kindergärten,
Gesundheitswesen bis zu Armenküchen – die ärmsten Menschen
erhielten und erhalten hier die Hilfe, die ihnen von anderen Seiten, ob Fatah oder
Israel verwehrt bleibt.
Bis heute kontrolliert
die Hamas hauptsächlich den Gazastreifen.
Dieses Netzwerk ist
sicherlich eine gute Option, auch die terroristischen Aktivitäten zu
finanzieren und zu vertiefen. Allerdings sind die Hintergründe kaum
klar auszumachen. Fakt ist, dass Gelder für soziales
Engagement von allen Seiten kommt. Aus dem Iran, Ägypten,
Saudi-Arabien und Co. Irgendwoher müssen die vielen Raketen und Waffen
ja stammen, leider.
Allerdings kämpft die
Hamas immer wieder mit Geldsorgen, vor allem nach dem Arabischen
Frühling, der einiges in der arabischen Welt verändert und für kompliziertere Machtverhältnisse gesorgt hat.
Zusätzlich zu den
Selbstmordanschlägen kommen Gewaltakte gegen Fatah-Angehörige oder
Palästinensern, die sich nicht zu den Zielen der Hamas anschließen
oder politisch ungewollt sind. Deshalb sehen viele
Gazastreifen-Bewohner und Palästinenser die Hamas nicht unbedingt als die Erlöser an,
vor allem, da die Gewaltaktionen und Anschläge die Zivilbevölkerung treffen, sei es in Israel oder in palästinensischen Gebieten. Andere sehen die Anschläge und Vergeltungsakte der Hamas gegenüber Israel durchaus positiv, als Machtdemonstration und Hilfe zur Befreiung Palästinas.
Dass die versprochene Befreiung schon mehrere Jahrzehnte andauert und Zehntausende Tote und Verletzte fordert, bleibt oft im Hintergrund.
3. Hamas und Fatah als
Einheitsregierung?
Neben den Anschlägen und
der Infrastruktur sorgt die Hamas seit 2006 auch für Politik.
Allerdings führte das zu inneren Konflikten, denn trotz des
Wahlsieges widerstrebt vielen Anhängern ein politischer Weg und eine
Aussöhnung mit Israel. Das sorgt für ständige Konflikte mit der
Fatah, die zwar auch keine blütenreine Weste hat, allerdings bisher
immer wieder ein wichtiger Pfeiler der Friedensbemühungen war.
Schließlich erklären sie eine Zwei-Staaten-Lösung mit demokratischen und säkularen Strukturen, im Gegensatz zur Vernichtung Israels und einem
islamischen Einheitsstaat.
Als die Hamas 2006 an die
Macht kam, wurden sämtliche Unterstützungen, die die PLO international erhielt, sofort gestoppt. Mit Terroristen verhandelt
schließlich niemand.
Die Hamas wälzte die
Autonomiebehörde massiv um, ersetzte alle wichtigen Posten mit
Islamisten und Nahestehenden. Die Radikalisierung des Staates schien
das Aus für sämtliche Friedensgespräche mit Israel zu bedeuten.
Allerdings gibt es auch
Zeichen der Hoffnung, denn eine gemeinsame Regierung von Hamas und
Fatah wurde im Juni 2014 verabschiedet. Als Bedingung der
Zusammenarbeit gilt die noch ausstehende Änderung der Charta der
Hamas, dass Israel zu vernichten und ein islamischer Staat zu
errichten seien. Wenn es gelingt, die Hamas zu entwaffnen und in
einen politischen Diskurs einzubeziehen, könnte die Lage etwas
entspannter werden. (Eine Lösung ist jedoch weit weit weit weg...)
Doch Waffenruhen und
Phasen des Aufatmens sind im Nahost-Konflikt brüchig und niemals von
Dauer. Das zeigt sich in der jüngsten Ermordung der drei israelischen
Jugendlichen, vermutlich durch radikale Islamisten, der
Vergeltungsmorde jüdischer Extremisten an palästinensischen Arabern
und den nun nachgefolgten Raketenangriffen beider Seiten.
Vergeltung ist eines der
Unworte im gesamten Konflikt. Israel bereitet Bodentruppen vor,
einige Journalisten befürchten eine dritte Intifada auf Seiten
Palästinas und ein massiver Gegenschlag des israelischen Militärs,
der für die Zerstörung der radikalen Kräfte sorgen soll.
5. Was nun?
Die Hamas ist noch lange
nicht in der Lage für eine stabile Regierung oder konstruktive
Gespräche zu sorgen. Doch die Fatah hat ihre Anhänger in der
Vergangenheit immer wieder enttäuscht und der langsame, schleichende
Friedens?- Zwei-Staaten?-Prozess ist Nährboden für radikale
Ansichten und Schnellschüsse, so wie Feindbilder.
Vermutlich verfügt der
militärische Arm der Hamas über sehr viele Waffen und Munition,
genau sagen kann dies niemand. Das bietet zwar nicht unbedingt Schutz
gegen die Übermacht Israels, aber die Bevölkerung hat niemanden, an
den sie sich sonst wenden kann. Keine Luftschutzbunker oder
Versorgungsstationen.
Fest steht allerdings
auch, dass die Hamas nicht einfach als radikale islamistische
Terrororganisation abzustempeln ist. Ihre Strukturen reichen bis in
viele Länder hinein und innerhalb bestimmter Gebiete sorgt sie für
eine gewisse Stabilität. Außerdem kann die Palästinensische
Autonomiebehörde momentan nicht ohne die Hamas funktionieren.
Eine erneute
Teilung des Staates in radikale und moderate Strömungen wird den
Konflikt nicht beenden oder erleichtern. Israels Gegenschläge haben
in den vergangenen Jahren weder zum Ende noch zu einer konstruktiven
Lösung des Konfliktes beigetragen. Allerdings bedroht die Hamas bis
zuletzt die Existenz Israels. Das ist auf keinen Fall ein guter
Verhandlungsboden.
Dass die Bevölkerung
seit Jahrzehnten leidet, werden die erneuten Raketenangriffe und
Anschläge nicht ändern, sondern nur noch verschlimmern.
138 (Deutschland enthielt
sich) der 193 UN-Mitglieder haben 2012 den Palästinensischen Staat
als Beobachterstaat innerhalb der UN anerkannt. Damit ist der Staat
zwar kein UN-Mitglied, besitzt jedoch Rederecht und kann beim
Internationalen Gerichtshof als Kläger auftreten.
Vielleicht gibt es
irgendwann noch eine diplomatische Lösung. Ich glaube allerdings
nicht daran, dass ich das noch erleben werde. Die nächsten Jahre
werden sicher weiter von Terrorismus, Vergeltung und Krieg gezeichnet
sein. Eine Entwaffnung der Hamas, ohne große Verluste auf beiden
Seiten, schließe ich aus. Es kommt vielleicht eher zur Zerschlagung,
Zersplitterung und Guerilla-Taktiken. Dafür sind die radikalen
Kräfte in der arabischen Welt leider immer noch zu gut finanziert,
organisiert und haben viel zu viel Rückhalt in bestimmten
Bevölkerungsgruppen.
Israels Regierung ist
auch seit Jahren auf Gegenkurs, anstatt den Friedensprozess von sich
aus zu starten oder nach Alternativen zu suchen, die trotz
anhaltendem Terror möglich sein könnten.
Ich bin faul, deshalb
gibt es die Links nur als Liste. SORRY!
Linkliste:
Dissertation zur Hamas:
http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000006598/Hamas.pdf